Der Callendar-Effekt

Fehlende Beweise
Bereits 1896 hat der Schwede Svante Arrhenius erkannt, dass wir Menschen durch das Verbrennen von Kohle unser Klima beeinflussen (siehe: Nobelpreisträger auf Irrwegen) – bloß: wie sollte er seine Theorie beweisen? Zu Lebzeiten Arrhenius gab es weder ein Indiz für einen globalen Temperaturanstieg, noch für einen des CO2; kein Wunder also, dass Arrhenius Zeit seines Lebens belächelt wurde. Bis 40 Jahre später ein Engländer behauptet, die Erde habe sich tatsächlich erwärmt – des Klimawandels erster Beweis?

Guy Stewart Callendar

Guy Stewart Callendar (Quelle: Wikipedia/Fair Use)

Freizeitspielerein
Erstaunlich daran: Guy Stewart Callendar war weder Meteorologe noch Klimatologe, ja nicht einmal Physiker oder sonstig in der Naturwissenschaft tätig. Er war Ingenieur der Dampftechnik, aber immerhin einer mit Hang zum Wetter, fast ein kleiner Freak: In seiner Freizeit (!) analysierte er die Temperaturdaten von 200 Wetterstationen weltweit und kam so 1938 zum Schluss, dass sich die Oberflächentemperatur der Erde zwischen 1890 und 1935 um etwa 0,3° erwärmt hat – was im ersten Moment nicht nach sonderlich viel klingt, in der Tat aber einen signifikanten Anstieg darstellt.

Callendars Temperaturanalysen

Callendars Temperaturanalysen für verschiedene Regionen der Erde und die Abweichung vom Mittel 1901-30 (unten). Er konnte zeigen: Die Erde erwärmt sich! Original-Skizze aus seiner 1938 publizierten Arbeit1.

Hut ab!
Callendars Temperaturanalysen waren freilich primitiv, im Kern aber richtig und halten heutigen Rekonstruktionen ohneweiters Stand:

Callendars Temperaturanstieg im Vergleich

Callendars Temperaturanstieg (rot bzw. blau; in rot Callendars erstes Ergebnis von 1938) im Vergleich mit heutigen Analysen (schwarz), in grau die Unsicherheiten. Eine erstaunliche Übereinstimmung, bedenkt man, dass Callendar alles manuell bestimmte. Aus: Ed Hawkins & Phil. D. Jones2.

Damit war der Engländer der erste Mensch, der zeigen konnte, dass sich die Erde erwärmt und war überzeugt, dass dieser Anstieg CO2-bedingt sein muss1:

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Verbrennung fossiler Brennstoffe, sei es Torf von der Oberfläche oder Öl aus 10.000 Meter Tiefe, sich in unterschiedlicher Weise als nützlich erweisen dürfte, neben der Versorgung von Wärme und Strom. […] Auf alle Fälle ist die Rückkehr tödlicher Gletscher auf unbestimmte Zeit verzögert.

Wir sehen: Auch Callendar hatte – wie zuvor schon Arrhenius und andere – offensichtlich kein Problem mit einer wärmeren Welt, die latente Angst vor einer neuerlichen Eiszeit war selbst im 20. Jahrhundert noch allgegenwärtig.

Was nicht passt, wird passend gemacht
Callendar hatte allerdings ein anderes, recht großes, Problem: Den genauen CO2-Gehalt der Atmosphäre zu bestimmen galt damals nämlich noch als unmöglich; sämtliche Versuche diesbezüglich hatten stets zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Wie also einen Anstieg (und damit einen Zusammenhang zur Erwärmung) beweisen? Callendar bediente sich da einer eher wenig wissenschaftlichen Methode: Er sammelte alle anno dazumal verfügbaren CO2-Messungen, strich was nicht passte und kam so zu einem CO2-Anstieg von rund 10% in knapp 50 Jahren.

Historische CO2-Messungen

Eine Auflistung der seit dem 19. Jahrhundert durchgeführten CO2-Messungen. Eingekreist jene, die Callendar herangezogen hat, der Rest fand keine Beachtung. Originalabbildung aus Fonselius, S., et al3.

CO2-Anstieg nach Callendar

Der CO2-Anstieg nach Callendar, Originalabbildung aus einer seiner Arbeiten4; verglichen mit obigem Bild ziemlich aufgeräumt und eindeutig …

Wenn’s grad scheiße läuft …
Was folgte, würden wir heutzutage als Shitstorm bezeichnen. Ein Ingenieur, also ein Technikfuzzi, äußert sich zum Klima? Ungeheuerlich, da könnt‘ ja jeder kommen! Auch das (vermeintlich) willkürliche Vorgehen punkto CO2 wurde ihm vorgehalten – übrigens heute noch ein häufiges Argument von Klimaleugnern, warum denn der CO2-Anstieg ein Schwindel sei5.  Und wie es der Teufel will, begann die globale Mitteltemperatur kurz nach der Veröffentlichung seiner Ergebnisse auch noch zu sinken – die Phase der Globalen Abkühlung setzte ein.

Kühlender Dreck
Diese Globale Abkühlung hatte einen absurd anmutenden Grund: die Luftverschmutzung. Bei der Verbrennung von Kohle (das damals schon verheizt wurde, als gebe es kein Morgen) wird nämlich nicht nur CO2 frei, sondern auch jede Menge Dreck – was Auswirkung auf die Strahlungsbilanz und in Folge auf die globale Mitteltemperatur hatte: Es wurde kühler. Erst als man in den 70ern vermehrt Katalysatoren und Abgasfilter einsetzte, stoppte diese Abkühlungsphase, da mit dem fehlenden Dreck zwar die Luftqualität wieder anstieg, gleichzeitig aber auch die solare Einstrahlung.

Globale Temperaturabweichungen

Globale Temperaturabweichung zum Referenzzeitraum 1961-1990. Die blauen Punkte sind die Jahresmittel, die rote Linie ein gleitendes Mittel. Die von Callendar ermittelte Erwärmung ist ebenso ersichtlich, wie die Phase der Globalen Abkühlung. Ab den 70er Jahren setzt sich die Erwärmung ungehindert fort (Met-Office Daten, Bild von Wikipedia, leicht adaptiert).

Ironie des Schicksals
An Ironie also kaum mehr zu überbieten: Ein an und für sich legitimer Beweis für den einsetzenden Klimawandel wurde vom Klima selbst entkräftet6. Schade, sonst wäre in der Klimawandeldiskussion damals schon einiges weitergegangen. So aber wurde Callendar, wie zuvor schon Arrhenius, aufs Abstellgleis gestellt, ein Zusammenhang zwischen Temperatur und CO2 (der immerhin fortan als Callendar-Effekt bezeichnet wurde) für weitere Jahrzehnte angezweifelt. Noch 1951 schrieb die Amerikanische Gesellschaft für Meteorologie7:

In den letzten hundert Jahren hat das Verbrennen von Kohle den CO2-Gehalt […] messbar ansteigen lassen, und Callendar sieht darin eine Erklärung für den jüngsten Temperaturanstieg. Doch in den letzten 7000 Jahren gab es größere Fluktuationen der Temperatur ohne Einfluss des Menschen und so scheint es keinen Grund zu geben, im kürzlichen Anstieg mehr als einen Zufall zu sehen. Diese Theorie wird also nicht weiter beachtet.

Diese Einstellung sollte sich schon bald ändern, denn nur wenige Jahre später schickten die Russen Sputnik ins Weltall. Und einem Amerikaner gelang endlich, was bis dato als unmöglich erachtet wurde: die CO2-Messung. Mehr dazu in Eine Kurve verändert die Welt.


Fußnoten:
1
The artificial production of the carbon dioxide and it’s influence on temperature; Callendar, G.S., 1938 (online verfügbar)

2 On increasing global temperatures: 75 years after Callendar; Ed Hawkins & Phil. D. Jones, 2013 in Q. J. R. Meteorol. Soc. 1–4, 2013 (online verfügbar)
3 Carbon Dioxide Variations in the Atmosphere; Fonselius, S., Wärme, K.-E., et al. 1956 (online verfügbar)

4 On the Amount of Carbon Dioxide in the Atmosphere; Callendar, G.S., 1957 (online verfügbar)
5
An dieser Stelle sei explizit darauf hingewiesen, dass Callendar zwar wenig wissenschaftlich agiert hat, sein Vorgehen aber unzweifelhaft richtig war – ob aus Zufall, Willkür oder Intuition, sei dahingestellt. Denn, wie wir heute wissen: Der CO2-Gehalt ist auf dem höchsten Stand seit 800.000 Jahren und beträgt rund 400 ppm – viele historischen Messungen können demnach nur falsch sein.
6 Man kann einen Teil des damaligen Anstiegs freilich als natürliche Schwankung sehen, da damals noch viel CO2 von den Ozeanen aufgenommen wurde. Die Frage ist allerdings: Wie hätte sich das ganze entwickelt ohne der Phase der Globalen Abkühlung?
7 Compendium of Meteorology; American Meteorological Society; Boston 1951; S. 1012 ff.


Dieser Artikel ist Teil des Schwerpunkt-Themas Auf nach Paris!
Eine Auflistung aller Artikel findest du hier.

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