Winter 2022/23: Im Schatten einer Hitzewelle

Aller Bemühungen zum Trotz
Man kann dem heurigen Winter so einiges vorwerfen, nicht jedoch, dass er es nicht versucht hätte. Es gab sie nämlich, die ungewohnt kalten Abschnitte mit den tiefsten Temperaturen seit Jahren. Es gab sie, die großen Schneefallereignisse, gebietsweise mit enormen Schneemengen. Doch am Ende reiht sich auch dieser Winter unter die wärmsten der Messgeschichte und war speziell im Westen unseres Landes außerordentlich schneearm; alle winterlichen Bemühungen stehen nämlich am Ende im Schatten eines einzigen Ereignisses, das europaweit seinesgleichen sucht: Einem Weihnachtstauwetter, das in einer beispiellosen Winterhitzewelle mündete und so das Schicksal einer ganzen Jahreszeit prägte – eine Bilanz zum Winterende.

Blick auf den Salzburger Pongau Ende Dezember 2022. Mittig im Bild liegt St. Johann im Pongau, rechts im Hintergrund Bischofshofen, links der Hochkönig (Webcam: foto-webcam.eu)

Nicht jeder ist gleich
Gleich eins vorweg: Dass ein jeder Winter früher durchgehend kalt und schneereich war, ist ein Mythos. Der klassisch-mitteleuropäische Winter ist geprägt von einem Wechsel zwischen Kalt- und Warmphasen – mal dominieren die kalten, mal die wärmeren. In den Wintern der letzten Jahren sind Kältephasen oder gar Kältewellen häufig ausgeblieben, der diesjährige unterscheidet sich dahingehend ein wenig von seinen Vorgängern und brachte zumindest zwei herausragend kalte Abschnitte: Eine im Dezember, die zweite Anfang Februar. Und so kommts, dass der Winter 2022/23 durchaus das eine oder andere Kälte-Schmankerl parat hatte – beginnend mit einer angenehm winterlichen Adventzeit.

Die Nacht zum 13. Dezember war in allen Landeshauptstädte ungewöhnlich kalt.

Wir sagen euch an, den kalten Advent
Die Vorweihnachtszeit war geprägt von klirrend kalten Nächten, auch tagsüber Minusgraden und immer wieder (zumindest etwas) Schnee bis ins Flachland. In inneralpinen Tälern1) wurde recht früh im Winter die Minus-20-Grad-Marke unterschritten und damit die tiefsten Dezembertemperaturen seit Jahren verzeichnet – etwa im Osttiroler Defereggental (St. Jakob mit -21,0 Grad am 13. d. M., tiefster Dezember-Wert seit 2011), im Tiroler Schmirntal (Schmirn mit -20,7 Grad am 12. d. M., tiefster seit 2009) oder im Salzburger Lungau (St. Michael mit -21,0 Grad am 13. d. M., tiefster seit 2010). Ungewohnt tief ins Minus ging es dieser Tage auch in den Landeshauptstädten, Salzburg etwa verzeichnete am 13. Dezember eine der kältesten Dezembernächte des 21. Jahrhunderts (-15,0 Grad am Flughafen, -13,3 Grad in Freisaal), und selbst im Wiener Stadtgebiet gab es erstmals seit 2014 zweistellige Minusgrade im Dezember (-11,2 Grad in Mariabrunn, -10,1 Grad in Stammersdorf).

St. Michael im Lungau (S) verzeichnete am 13. Dezember 2023 einen der kältesten Dezembertage seiner Messgeschichte (Bild: Wikipedia, CC BY-SA 4.0)

Ice, ice, baby!
Was tief startet, kommt nicht immer hoch hinaus, und so blieben die Temperaturen im Advent 2022 auch tagsüber oft im Keller, teils im Dauerfrost: Die ersten Eistage des Winters standen an. Eistage (Höchstwert < 0 Grad) sind das Pendant zu den heißen Tagen (Höchstwert ≥ 30 Grad) im Sommer und zählen zu den klimatologischen Kenntagen, anhand derer man die Härte bzw. Ausprägung eines Monats oder Jahreszeit ganz gut beschreiben kann. An sich war deren Ausbeute im Dezember 2022 nicht weiter aufregend (blieb in den Landeshauptstädten sogar tendenziell unterdurchschnittlich), und doch offenbaren sich feine Details: In Salzburg zum Beispiel gab es die höchste Anzahl an Dezember-Eistagen seit 11 Jahren, in Bregenz seit 10, in Wien seit 7 Jahren. In Innsbruck gab es den ersten Dauerfrost seit Februar 2021, also 22 Monaten (zweitlängste eistagfreie Periode der Tiroler Landeshauptstadt). Und inneralpin brachte die heurige Vorweihnachtszeit gebietsweise einen der kältesten Dezembertage überhaupt, wie zum Beispiel in St. Michael im Salzburger Lungau mit -11,8 Grad Höchstwert am 13. d. M. - nur an 3 Dezembertagen seit Messbeginn 1968 gab es hier tiefere Maxima, zuletzt in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. [/av_textblock] [av_tab_container initial='1' position='top_tab' boxed='border_tabs' alb_description='' id='' custom_class='' template_class='' av_uid='av-6luun1' sc_version='1.0'] [av_tab title='Eistage - Dezember ' icon_select='yes' icon='ue8d6' font='entypo-fontello' custom_id='' av_uid='av-3si0m5' sc_version='1.0']

Ort Bundesland Eistage Mittel 1991-2020 Höchste Anzahl seit
Klagenfurt K 5 10 2021
Wien – Hohe Warte W 5 6 2016
St. Pölten 5 7 2016
Salzburg – Freisaal S 4 5 2012
Bregenz V 3 3 2013
Linz 3 5 2016
Eisenstadt B 3 6 2018
Graz – Universität ST 3 5 2016
Innsbruck – Universität T 2 4 2018

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Schmelzende Freuden
Dass die folgenden Hochwintermonate Jänner und Februar kaum noch Eistage nachlieferten, unterstreicht ein wenig, wie bemüht winterlich sich die Adventzeit gegeben hat. Doch all die – aufgrund der Vorgeschichte berechtigte – Freude auf ein Weihnachtsfest in weiß war auch diesmal vergebens; kurz vor dem Fest wurde es nicht nur einfach weihnachtstauwetterlich warm, oh nein. Beginnend mit dem Heiligen Abend 2022 setzte ein Wärme-Rekord-Reigen ein, der in Folge alles je Dagewesene in den Schatten stellen sollte und in diesem Ausmaß beispiellos ist. Fast so, als wäre des Winters FI-Schalter gefallen. Nicht nur in Österreich, europaweit. Und das über Wochen.

Im Salzburger Flachgau, Teilen Oberösterreichs, Niederösterreichs, vielen Bezirken Wiens und gebietsweise im Burgenland wurden nie zuvor so hohe Frühtemperaturen an einem Heiligen Abend gemessen wie 2022.

Höher die Werte kaum steigen
Egal ob Heiliger Abend (24.12.), Christtag (25.12.) oder Stefani (26.12.): Hohe Temperaturen zu den Festtagen sind an sich nicht so ungewöhnlich, das Weihnachtstauwetter gilt als einer der verlässlichsten meteorologischen Singularitäten2) und ist mit ein Grund, warum weiße Weihnachten immer schon mehr Ausnahme denn Regel waren. Doch selten sind gleich alle 3 Festtage auf Rekordniveau unterwegs: Der Heilige Abend etwa brachte in der Steiermark einen Höchstwert von 15,6 Grad – es gibt über alle Jahre und Stationen österreichweit (!) hinweg lediglich 20 höhere Werte an einem 24.12. seit Messbeginn im 19. Jahrhundert, 17 dieser 20 Meldungen stammen aus den letzten 10 Jahren (Rekord: 18,2 Grad in Brand (V) / 2012). Zu Stefani wurden in Ober- und Niederösterreich gar 16,3 Grad erreicht – auch das österreichweit einer der höchsten Werte für diesen Feiertag (Platz 17, Rekord: 17,6 Grad in Kirchdorf an der Krems (OÖ) / 1983). Und selbst der dazwischenliegende Christtag war – obwohl die Höchstwerte (etwa 14 Grad in Vorarlberg) nicht ganz so extrem scheinen – an seinen jeweiligen Spitzenwerten dran. Weihnachten verkommt immer mehr zum Frühlingsfest.

Die Top 5 (und deren Rekorde) am 24. Dezember 2022:

Ort Bundesland Höchstwert 2023 Rekord 24.12. Messbeginn
Hartberg ST 15,6° Rekord
alt: 11,6° / 2014
1994
Rohrspitz V 15,5° zweitwärmster 24.12.
Rekord: 15,7° / 2013
2008
Köflach ST 15,4° 2004
Mattersburg B 14,0° zweitwärmster 24.12.
Rekord: 14,3° / 2017
2007
Berndorf 14,0° Rekord
alt: 12,9° / 2021
1992
Langenlois 14,0° Rekord
alt: 12,4° / 1988
1965

Die Höchstwerte am 31.12.2022 nach Bundesland. Mit Ausnahme von Niederösterreich, Wien & Kärnten allesamt Bundesland-Rekorde für den Silvestertag.

Silvesterabsurditäten
So herausragend Weihnachten auch war, der Jahreswechsel vermochte das sogar noch zu toppen. Und das, obwohl bereits das Jahr 2021 mit Rekorden nur so um sich geschmissen hat: In 4 von 9 Bundesländern wurde damals die höchsten je gemessenen Temperaturen an einem Silvestertag verzeichnet. 2022 legte nach und brachte in 6 von 9 Bundesländern den wärmsten Jahresausklang seit Aufzeichnungsbeginn – viele Silvesterrekorde, die erst ein Jahr zuvor aufgestellt wurden, waren damit auch schon wieder obsolet, der österreichweite Höchstwert von 18,3 Grad wurde egalisiert (2022 in Aspach / OÖ, 2021 in Berndorf / NÖ). Auch in der folgenden Silvesternacht versuchte 2022 seinen Vorgänger zu toppen – mit Teilerfolg: Um Mitternacht (also pünktlich zu Sekt und Donauwalzer) zeigten die Thermometer in Neudorf bei der Burgruine Landsee im Burgenland eine Temperatur von 16,5 Grad – österreichweit die höchste Temperatur, die je zum Läuten der Pummerin gemessen wurde. Den wenig ruhmhaften Titel der wärmsten Silvesternacht konnte allerdings 2021 (mit einem österreichweiten Minimum von 12,3 Grad in der Wiener Innenstadt) verteidigen, 2022 lag der tiefste Wert nämlich “nur” bei 11,0 Grad am (Achtung!) Kolomansberg in Salzburg auf rund 1100 Meter Seehöhe. Was freilich die Sache nicht weniger absurd macht: 100 Jahre (!) lang betrug die höchste je in Österreich gemessene Minimumtemperatur in einer Silvesternacht 9,5 Grad – aufgestellt 1921 auf der Hohen Warte in Wien. 2021 wurde dieser Wert zum ersten Mal an gleich 13 Stationen – alle im östlichen Flachland – überboten. 2022 an weiteren 7 Stationen – erstmals auch in Höhenlagen um 1000 Meter Seehöhe.

Die Top 5 (und deren Rekorde) am 31. Dezember 2022:

Ort Bundesland Höchstwert 2023 Rekord 31.12. Messbeginn
Aspach 18,3° Rekord
alt: 13,4° / 2021
2009
Puchberg am Schneeberg 18,1° Rekord
alt: 16,1° / 2021
1949
Mattsee S 18,0° Rekord
alt: 13,2° / 2006
1949
Neudorf / Landsee B 17,9° Rekord
Rekord: 15,5° / 2021
2015
Brand V 17,9° Rekord
alt: 11,1° / 2021
2001

Die Höchstwerte am 01.01.2023 nach Bundesland. Mit Ausnahme der Steiermark, Wien und Kärnten allesamt Bundesland-Rekorde für den Neujahrstag.

Neujahrsabsurditäten
Die Silvesterwärme war in ihrer Ausprägung derart extrem, dass dieser eine (letzte) Tag sogar noch die österreichweite Gesamtjahresbilanz nach oben korrigierte und das Jahr 2022 vom dritten auf den zweiten Platz der wärmsten Jahre der österreichischen Messgeschichte (seit 1768) hievte. Aber damit war der Wärme-Irrsinn noch lange nicht beendet, bereits der erste Tag 2023 hat noch mal eins draufgelegt und nicht nur ebenfalls in 6 von 9 Bundesländern für den wärmsten Neujahrstag gesorgt, sondern an rund 10 % aller österreichischen Wetterstationen – quer über das Land und allen Höhenlagen – gleich den wärmsten Jännertag überhaupt gebracht: In Weitra im Waldviertel (NÖ) etwa wurden 18,7 Grad gemessen, der alte Jänner-Rekord von 17,2 Grad stammte aus dem Jahr 1991. In Reichenau im Mühlkreis (OÖ) 15,4 Grad (alt: 13,5 Grad / 1993), in Obertauern (S) 11,9 Grad (alt: 10,5 Grad / 2022) – die bisherigen Stationsrekorde waren dabei nicht nur relativ alt, sondern wurden regelrecht pulverisiert. Den absoluten Höchstwert an diesem 01. Jänner 2023 gab es übrigens in Puchberg am Schneeberg (NÖ) mit 19,7 Grad – sowohl Jänner-Stationsrekord (alt: 18,0 Grad / 2007) als auch die höchste je in Österreich zu Neujahr gemessene Temperatur (alt: Köflach / ST, 18,8 Grad / 2022). Unsere Berge waren übrigens noch extremer unterwegs und haben zum Jahresstart gleich einen Doppelrekord hingelegt: Die Schmittenhöhe in rund 2000 Meter bei Zell am See in Salzburg zum Beispiel verzeichnete in den ersten 24 Stunden des Jahres sowohl die wärmste Jännernacht als auch den wärmsten Jännertag seit Aufzeichnungsbeginn 1931. Prosit Klimawandel!

Doppel-Rekord am 1. Tag des Jahres auf der Schmittenhöhe in Salzburg auf 1956 Meter Seehöhe.

Historisch einmalig, statistisch unmöglich
Das gesamte Ausmaß dieser winterlichen Hitzewelle offenbart aber erst der Blick auf Europa. Dänemark, die Niederlande, Liechtenstein, Luxemburg, Tschechien, Polen, Lettland, Litauen und Weißrussland verzeichneten entweder zu Silvester den wärmsten Dezember- oder zu Neujahr den wärmsten Jännertag ihrer Messgeschichte. In Spanien, im Vereinigten Königreich, in Frankreich, Deutschland, in der Schweiz, der Slowakei, in Ungarn, Slowenien, Kroatien, Serbien, Rumänien, in Finnland, der Ukraine und schlussendlich auch in Russland fielen rund um den Jahreswechsel in Summe tausende (!) Stationsrekorde. Viele davon wurden nicht einfach nur übertroffen, oh nein, sie wurden regelrecht gesprengt – hier 3 Beispiele: In der polnischen Hauptstadt Warschau wurde zu Neujahr der alte Jänner-Rekord der Stadt um 5,1 Grad (!) pulverisiert (neu: 18,9 Grad, alt: 13,8 Grad im Jänner 1993), in Weißrussland mit 16,4 Grad (in der Kleinstadt Wyssokaje) überhaupt der nationale Jänner-Rekord um außergewöhnliche 4,5 Grad (!) überboten – Rekorde in dieser Größenordnung müsste man eigentlich als statistisch unmöglich bezeichnen. In Berlin wiederum sank die Temperatur in den meisten Stadtteilen in der Silvesternacht nicht unter 15,0 Grad – in keinem (!) Wintermonat zuvor wurde in der deutschen Hauptstadt je eine wärmere Nacht registriert, nicht einmal in den Monaten November und März. Und das waren lediglich 3 Beispiele von Tausenden! Der Jahreswechsel 2022/23 brachte dem Kontinent die wohl schwerste Hitzewelle der europäischen Geschichte – sowohl in Ausmaß als auch Intensität. Zum Glück für uns alle in einem Wintermonat.

Temperaturabweichung (in Grad Celsius) am 01.01.2023 – in vielen Länder Europas wurden über den Jahreswechsel Wärmerekorde verzeichnet (Bild: WeatherBell, via Twitter @US_Stormwatch)

Des Februars Versuch
Der Jänner konnte sich daraufhin bis zur Monatsmitte wärmemäßig nicht mehr beruhigen: Bis zum 15. d. M. wurde täglich die 10-Grad-Marke erreicht, teils deutlich überschritten, gebietsweise folgten weitere Temperaturrekorde, die Nächte blieben weitgehend frostfrei. In Bregenz (V) zum Beispiel rutschte die Temperatur ab Weihnachten 28 Tage lang nicht mehr unter Null Grad – die zweitlängste frostfreie Winterperiode der dortigen Messgeschichte (seit 1936, Rekord: 32 Tage / 2016). Der Abschnitt vom 21. Dezember bis zum 15. Jänner mauserte sich so in 8 von 9 Landeshauptstädten, wie auch auf Österreichs wichtigster Bergstation dem Sonnblick auf 3100 Meter Seehöhe in den Salzburger Tauern, zum mit Abstand wärmsten, der jemals über Weihnachten, dem Jahreswechsel und Start ins neue Jahr aufgetreten ist und bilanziert mit Abweichungen von bis zu 6 Grad (!) – das Schicksal des gesamten Winters sich unter die wärmsten zu reihen, war damit bereits zu dessen Halbzeit besiegelt. Die unspektakuläre zweite Jännerhälfte hat dies stillschweigend hingenommen, der folgende Februar allerdings war dann doch noch so mutig und überraschte mit dem zweiten Kälte-Schmankerl des Winters: Auf den Bergen performte die erste Februar-Dekade – und damit Teil 1 der heurigen Energieferien – als kälteste seit nunmehr 10 Jahren, im östlichen Flachland seit immerhin 5.

Ort Bundesland 2022/23 Mittel 1991-2020 alter Rekord
Bregenz V 7,5° 1,6° 4,7° / 1997/98
Salzburg – Flughafen S 5,8° 0,1° 3,8° / 1997/98
Wien – Hohe Warte W 5,6° 1,1° 5,2° / 2006/07
St. Pölten 5,1° 0,1° 4,1° / 2006/07
Eisenstadt B 5,0° 0,6° 4,6° / 2006/07
Linz 4,8° 0,4° 4,1° / 2017/18
Graz – Universität ST 4,2° -0,1° 3,6° / 2013/14
Innsbruck – Universität T 4,0° -0,3° 3,3° / 2013/14
Klagenfurt K 0,7° -2,8° 1,4° / 2013/14
Sonnblick S -6,5° -10,1° -6,9° / 1988/89

Zurück ins alte Muster
Diese hochwinterliche Wetterphase mag zwar in ihrer Ausprägung nur schwer mit einer klassischen Kältewelle von einst vergleichbar sein (es gab in den Niederungen kaum wo Dauerfrost, die nächtlichen Tiefstwerte waren zwar tief, aber klimatologisch für die Jahreszeit nicht weiter aufregend), und doch war dieser februarnische Kaltstart enorm wichtig, um das Folgende zumindest etwas abzumildern: Die zweite Februarhälfte hat nämlich endgültig jedweden Winter-Verstand verloren und auf Frühsommer geschaltet. Wie anfangs erwähnt, ist der Wechsel zwischen sehr kalten und milderen/warmen Phasen – auch im Hochwinter – nicht ungewöhnlich, aber warum zum Kuckuck muss es immer gleich ins Außergewöhnliche kippen? In der Nacht auf den 18. d. M. sank die Temperatur im gesamten östlichen Flachland kaum noch unter 12 Grad, an vielen Stationen war dies entweder die wärmste Februar- oder überhaupt gleich Winternacht der jeweiligen (langen) Messgeschichte – etwa in Krems (NÖ) mit einem Tiefstwert von 12,9 Grad (Messbeginn 1936, alter Rekord 11,6 im Februar 2006), Langenlois (NÖ) mit 12,4 Grad (Messbeginn 1965, alt: 10,8 Grad im Dezember 1974) oder Micheldorf (OÖ) mit 12,7 Grad (1979, alt: 12,0 Grad im Februar 1998). Tagsüber knackte die Temperatur gar die 20-Grad-Marke mit einem Spitzenwert von 21,7 Grad in Innsbruck – Februarrekord, Winterrekord und oben drauf auch noch die höchste je im gesamten Bundesland Tirol (alle Stationen seit Aufzeichnungsbeginn) gemessene Temperatur in einem der Wintermonate Dezember, Jänner und Februar. Viel mehr Rekord geht eigentlich gar nimma.

Alle 20-Grad-Tage in den Monaten Dezember, Jänner und Februar in Innsbruck seit Messbeginn 1877.

Nacheiferei
Am Beispiel Innsbruck ist übrigens exemplarisch schön zu sehen, wie Klimawandel funktioniert; 20 Grad im Winter sind nämlich an sich nicht ungesehen in der Tiroler Landeshauptstadt. Erstmalig gemessen wurde ein derart hoher Wert im Winter 1900, dann war über 100 Jahre Funkstille, bevor es 2008 wieder mal geklappt hat. Und mittlerweile gibts in Innsbruck 20 Grad und mehr alle 2 Jahre: 2015, 2017, 2019, 2020, 2021 und eben heuer, 2023. Nur noch eine Frage der Zeit, bis der 20er zum guten Ton eines jeden Winters gehört – wie übrigens auch andere Bundesländer finden: Nur 3 Tage nach dem Tiroler Rekord, am 21. Februar, hat nämlich das Burgenland versucht, an den Tiroler Rekord anzuschließen und mit 22,1 Grad in Güssing ebenfalls einen der höchsten Winterwerte des gesamten Bundeslandes aufgestellt. Die 22-Grad-Marke wurde zuvor (über alle burgenländischen Stationen und Jahre hinweg) lediglich am 28. Februar 2019 überboten – unterm Strich also der zweitwärmste Wintertag für das Burgenland seit Aufzeichnungsbeginn.

Summa summarum
Fassen wir zusammen: Von den 3 Wintermonaten wurde keiner seinem Namen wirklich gerecht, aber 2 haben es zumindest versucht – einerseits der Dezember mit einer durchwegs winterlichen Adventzeit, und dann wieder der Februar mit seinem (doch ein wenig überraschenden) Kaltstart. Dazwischen und danach allerdings herrschten Sodom und Gomorra, mit Temperaturen, wie sie gewöhnlich erst im Mai zu erwarten sind und damit einhergehend unzähligen Wärmerekorden. Dass einige wenige Wochen – so bemüht winterlich sie sich auch gegeben haben – nicht ansatzweise in der Lage sind, das Soll an Kälte zu erfüllen, zeigt schlussendlich auch die Bilanz an Frost- und Eistagen:

Ort Bundesland Eistage Mittel 1991-2020 Abweichung
Klagenfurt K 11 25 -56 %
Salzburg – Freisaal S 7 14 -50 %
Wien – Hohe Warte W 6 17 -65 %
St. Pölten 6 22 -73 %
Bregenz V 4 12 -66 %
Eisenstadt B 4 19 -79 %
Graz – Universität ST 4 14 -71 %
Innsbruck – Universität T 4 10 -60 %
Linz 3 16 -81 %

Wie schon weiter oben erwähnt, hat der Hochwinter kaum noch Eistage (also Tage mit Dauerfrost) nachgeliefert, deren Ausbeute wird also maßgeblich vom Dezember befüllt, das Minus ist mit bis zu 80 % in den Landeshauptstädten dementsprechend gewaltig. Aber auch punkto Nachtfrost haben Jänner und Februar ziemlich ausgelassen, in den meisten Landeshauptstädten fehlt in Summe ein gutes Drittel an frostigen Nächten, Graz verzeichnet überhaupt einen Negativrekord: Noch kein Winter war in der steirischen Landeshauptstadt dermaßen frostarm wie der heurige mit bloß 41 Tagen, an denen die Temperatur ins Minus gerutscht ist (alter Rekord: 45 Tage / 2015). Dass da die Temperatur-Gesamtbilanz nicht sonderlich rosig aussehen kann, versteht sich von selbst: Mit Platz 6 reiht sich wieder ein Winter des 21. Jahrhunderts in die Top 10 der 255-jährigen Messgeschichte Österreichs.

Die wärmsten Winter Österreichs (Abweichung zum Klimamittel 1991-2020 nach dem HISTALP-Datensatz der Bundesanstalt für Meteorologie)

Ana hot imma des Bummerl
Ein warmer Winter ist – no na – grundsätzlich immer auch blöd für Schnee; ist die die Temperatur zu hoch, fällt der Niederschlag in flüssiger Form. Herrscht aber zusätzlich noch Trockenheit, dann ist das wohl des Winters Arschkarte schlechthin – und die hat heuer ganz offensichtlich Westösterreich gezogen: Gebietsweise gab es in Tirol um bis zu 60 % weniger Niederschlag als in einem gewöhnlichen Winter, was in Kombi mit den hohen Temperaturen zu der paradox anmutenden Situation führt, dass es in Tirol auf Höhenlagen um 1000 Meter stellenweise weniger Schnee gegeben hat, als in der Bundeshauptstadt. Kein Schmäh! In Umhausen im Tiroler Ötztal auf 1035 Meter Seehöhe zum Beispiel konnten sich in diesem Winter bloß 22 cm Neuschnee summieren (Negativrekord, alt: 27 cm im Winter 2006/07), in Wien – in diesem Winter immerhin drittschneereichste Landeshauptstadt! – waren es in Summe 31 cm. Und das, obwohls auch in der Bundeshauptstadt ein sehr warmer Winter war.

Umhausen im Tiroler Ötztal erlebt den schneeärmsten Winter seiner Messgeschichte, selbst Wien kann mehr Neuschnee verbuchen!

Nix, flüssig, fest
Die Winter-Trockenheit im Westen hat zwar augenscheinlich Auswirkungen auf die Schneebilanz, klimatologisch ist sie aber nicht weiter auffällig; gerade der Winter ist für seine hohe Niederschlagsvariabilität bekannt, es gab in der Vergangenheit eine Reihe derart trockener Winter – zuletzt 2016/17 oder auch 2013/14. Andere Landesteile wiederum konnten vom heurigen Winter sogar ein wenig profitieren, im Südosten unseres Landes gab es gar ein Niederschlagsplus bis zu 60 %. Maßgeblich dafür verantwortlich ein Niederschlagsereignis in der letzten Jännerwoche, das in seiner Intensität für diese Region eher untypisch war: In Graz (Station Universität) wurden am 24. d. M. die größte Jänner-Tagesniederschlagsmenge seit über 100 Jahren gemessen (29,3 mm, zuletzt mehr: 31,4 mm / 1915), in Deutschlandsberg seit 120 Jahren (50,5 mm, zuletzt mehr: 52,0 mm / 1903), am Schöckl, dem Grazer Hausberg, gar ein Jänner-Tagesniederschlagsrekord (35,3 mm, alt: 33,7 mm / 1987). Für Schnee war es in der Südoststeiermark zwar zu warm, der Niederschlag dennoch höchst willkommen, das Jahr 2022 brachte schließlich ein gewaltiges Defizit. Auf Kärntner Seite wiederum haben die Temperaturen gepasst, durchgehend fiel Schnee: In Preitenegg auf der Pack zum Beispiel summierte sich mit über 40 cm in nur 24 Stunden die dritthöchste Neuschneemenge seit Aufzeichnungsbeginn 1984 (Rekord: 64 cm / Feber 1986), in Ferlach im Rosental wuchs die Schneedecke bis zum 24. d. M. gar auf stolze 71 cm und damit zur dicksten seit dem Jahre 2006.

Ferlach (K) hat am 24. Jänner 2023 mit 71 cm die dickste Schneedecke seit dem Jahr 2006 gemessen (Webcam: Panomax).

Schnee-Rekorde und dennoch Flaute
Rund eine Woche später kam Anfang Februar die Alpennordseite – vom Salzburger Land bis in die Obersteiermark – zum Handkuss, und wieder waren die Schneemengen beachtlich, teils außergewöhnlich: Am Feuerkogel auf rund 1600 Meter beim Traunsee in Oberösterreich summierte sich in nur 24 Stunden 70 cm Schnee – die zweitgrößte Neuschneemenge aller Monate seit Aufzeichnungsbeginn 1971 (Rekord: 80 cm / März 1987). Mengen dieser Größenordnung gabs auch in vielen Tälern, in Aflenz (ST) zum Beispiel auf 780 Meter Seehöhe wurden ebenfalls 70 cm Neuschnee in nur 24 Stunden gemessen, der Neuschneerekord damit eingestellt (70 cm im Februar 1986). Doch Einzelereignisse wie diese können, ähnlich wie schon bei der Temperatur, nicht darüber hinwegtäuschen, dass davor und danach schlicht Flaute war.

Frühlingshoffnungen
Mit Ausnahme des Südens brachte der Winter in vielen Regionen Österreichs um bis zu 80 % (!) weniger Neuschnee als gewöhnlich – im Westen bedingt durch die Trockenheit, sonst aufgrund der hohen Temperaturen. Mit Ausnahme von Klagenfurt bilanzieren so auch alle Landeshauptstädte schneemäßig stark im Minus, selbst unsere Berge konnten nicht so recht profitieren: Am Feuerkogel etwa bleibt am Ende – trotz des außergewöhnlichen Neuschnee-Ereignisses – ein Minus von rund 20 %, am Hohen Sonnblick in Salzburg eins von 33 %. Apropos Sonnblick: Am 28. Februar 2023 lag die Gesamtschneehöhe bei 1,28 Meter – die geringste Schneebedeckung am letzten Tag eines Winters an dieser altehrwürdigen Station auf 3100 Meter seit Aufzeichnungsbeginn 1938. Man kann nur hoffen, dass sich im Frühling das Blatt endlich wendet, ansonsten droht das nächste katastrophale Jahr für unsere Gletscher …

Ort Bundesland Neuschnee Mittel 1991-2020 Abweichung
Klagenfurt K 61 cm 48 cm +27 %
Salzburg – Flughafen S 56 cm 58 cm -4 %
Wien – Hohe Warte W 31 cm 40 cm -23 %
Innsbruck – Universität T 21 cm 67 cm -69 %
St. Pölten 19 cm 37 cm -49 %
Eisenstadt B 15 cm 31 cm -52 %
Linz 14 cm 46 cm -70 %
Bregenz V 12 cm 61 cm -80 %
Graz – Universität ST 6 cm 35 cm -83 %

Abschlussworte
Der Winter 2022/23 war geprägt von Schneemangel und Wärmerekorden – und dennoch gab es sie, die Abschnitte, in denen sich der Winter so präsentierte, wie er früher einmal war. Es gab sie, die klirrend kalten Nächte, die weißen Überraschungen, den Kahlfrost, die Winterstürme, das sonnige Kaiserwetter. Doch all diese Bemühungen stehen am Ende im Schatten einer beispiellosen Hitzewelle, die europaweit Klimageschichte geschrieben hat und Sinnbild unserer winterlichen Zukunft ist. Einer Zukunft, in der Schnee zum Auslaufmodell gehört und Frühsommerwärme zum guten Ton. Noch aber haben wir das Glück, dass es der Winter zumindest zwischendurch versucht – unser aller fucking Job ist es, sicherzustellen, dass uns nicht auch noch diese Versuche abhanden kommen.

PS: In den Medien war jüngst zu hören bzw. lesen, dass der heurige Winter einen schwierigen Sommer verheißen würde. Berichte dieser Art klicken sich sehr gut, es existiert nur leider kein Zusammenhang zwischen trockenem Winter und trockenem Sommer! Außer Frage steht, dass die Ausgangslage nicht die beste ist, aber viel wichtiger ist nun, wie das Frühjahr wird – der Frühling ist nämlich die schneereichste Zeit im Gebirge, nicht der Hochwinter. Eigentlich brauchts jetzt also genau das, was viele nicht hören wollen: Einen “beschissenen” (ergo nassen und kalten) Frühling.

PPS: Alex, Thomas & Thomas – was wäre ich ohne euch? Ihr seid der eigentliche Grund, warum ich die Bilanzen überhaupt noch schreibe :) Vielen Dank Burschen!

Fußnoten
1) Im Waldviertel wurde an einer neuen GSA-Wetterstation in Schwarzau im Freiwald (NÖ) gar eine Minimumtemperatur von -24,0 Grad am 18. Dezember verzeichnet. Mangels Vergleichswerte bleibt diese Station unberücksichtigt.
2) Mit einer gewissen Regelmäßigkeit wiederkehrende Wetterlagen zu einer bestimmten Zeit im Jahr (lat. singularis einzigartig).

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