Der Abschied vom weißen Winter
Jahreszeiten im Wandel
Eine jede Jahreszeit hat bekanntlich ihr Charakteristikum: Dem Frühling ist unter anderem sein launenhaftes Wetter eigen – nicht umsonst macht der April, was er will. Im Sommer zählen definitiv die Gewitter zum herausstechenden Merkmal, im Herbst mehr der Nebel. Und im Winter? No na, der Schnee! Das weiße Gold ist Inbegriff der kalten Jahreszeit. Doch im Zuge des Klimawandels ändern sich all diese jahreszeitlich-typischen Merkmale; der Frühling macht immer öfter einen auf Hochsommer anstatt auf Diva, sommerliche Gewitter werden heftiger, herbstliche Nebeltage seltener. Im Winter ist diese Änderung wohl am sichtbarsten: Vom Bergland abgesehen verkommt Schnee zur Mangelware. Heuer blieben gar erstmals in der Messgeschichte ganze Landesteile komplett schneelos! Der Winter 2019/20 eröffnet damit ein neues Kapitel in der österreichischen Klimageschichte. Eine Bilanz.
Alles muss passen
Gleich eins vorweg: Nicht jeder Winter kann mit Schneereichtum glänzen, gerade der Parameter “Schnee” ist allgemein großen Schwankungen unterworfen. Im Gebirge ist die mitunter wichtigste Voraussetzung für einen schneereichen Winter genügend Niederschlag, die Temperatur ist da oft nur Nebensache – ob es nun -5 oder bloß -1 Grad hat, ist dem Schnee herzlich egal, sind die Temperaturen negativ, fällt der Niederschlag in gefrorener Form. Verständlich also, dass unsere Berge auch heuer wieder weiß waren – in Summe gab es zwar weniger Neuschnee als im Klimamittel, aber wie gesagt: Mal summiert sich mehr Schnee, mal weniger. Denken wir an den Jänner 2019 zurück, der wohl etwas zu viel des Guten brachte (siehe: Winterrückblick 2018/19).
GraDwanderung
Im Flachland hingegen ist neben dem Niederschlag gerade auch die Temperatur entscheidender Faktor; nur ein einziges Grad auf oder ab kann hier den Ausschlag geben – ein Umstand, über den viele Meteorologen schon gestolpert sind und deshalb ganze Lieder zu singen wissen. Doch heuer hat sich die Frage ob Regen oder Schnee oftmals gar nicht gestellt, die Temperaturen lagen nämlich praktisch durchgehend jenseits von Gut und Böse! Das Ergebnis: In so gut wie allen Landesteilen – und Österreich besteht nun mal nicht nur aus Bergen – konnte sich heuer (wenn überhaupt) nur kurzzeitig eine Schneedecke bilden, mancherorts dabei so spät wie noch nie (der Bodenseeraum (V) zum Beispiel war erst Ende Februar angezuckert!), andere Regionen (etwa die Südoststeiermark oder Teile des östlichen Flachlandes) blieben überhaupt den ganzen Winter hindurch grün.
Der Beginn vom Ende
Darunter auch 3 Landeshauptstädte – in St. Pölten, Graz und Bregenz lag an keinem einzigen Tag eine messbare Schneedecke (von mindestens 1 Zentimeter Höhe). In weiteren 3 (Wien, Linz und Eisenstadt) gab es mit Ach und Krach einen Tag in weiß, in weiteren 2 (Salzburg und Klagenfurt) rund eine Woche und Spitzenreiter Innsbruck kommt auf gerade mal 12 Tage mit einer Schneedecke. Zum Vergleich: Alle Landeshauptstädte – auch die Bundeshauptstadt Wien – stecken in einem herkömmlichen Winter rund 1 Monat lang (Innsbruck und Klagenfurt gar 2 Monate) in einem mal mehr, mal weniger dicken Winterkleid! Das mag zwar nicht jeder als erquickend empfinden, der eine oder die andere mitunter auch der Meinung sein, dass Schnee in der Stadt per se nichts verloren hat, das Leben ist allerdings nur selten ein Wunschkonzert, Egoismus hier eindeutig fehl am Platz. Denn unabhängig davon, ob man dem Winter was abgewinnen kann oder nicht, heuer ist passiert, wovor die Wissenschaft schon lange warnt: Der Schnee kommt uns abhanden.
Anzahl der Schneedeckentage in den Landeshauptstädten. Ein solcher ist definiert als Tag, an dem um 7 Uhr Früh mindestens 1 cm Schnee liegt.
Ort | Schneedeckentage Winter 2019/20 |
Schneedeckentage Klimamittel |
Rekord |
Wien – Hohe Warte | 1 | 32 | Negativrekord |
St. Pölten | 0 | 36 | Negativrekord |
Eisenstadt | 1 | 27 | kein Rekord |
Linz | 1 | 36 | Negativrekord |
Salzburg – Freisaal | 6 | 46 | kein Rekord |
Innsbruck – Universität | 12 | 50 | kein Rekord |
Bregenz | 0 | 33 | Negativrekord |
Klagenfurt | 6 | 51 | kein Rekord |
Graz – Universität | 0 | 32 | Negativrekord |
Ohne Niederschlag kein Schnee
Jetzt lässt sich die Schneearmut in Teilen des Landes (Kärnten, Südoststeiermark, Burgenland) ja noch dem ausbleibenden Niederschlag in die Schuhe schieben – gerade der Süden und Südosten unseres Landes verzeichnen heuer ein eklatantes Niederschlagsminus von bis zu 50 %. Wo kein Niederschlag, da kein Schnee – versteht sich von selbst. Allerdings sind gerade südlich des Alpenhauptkammes trockene Winter nicht wirklich ungewöhnlich, allein in den letzten 30 Jahren finden sich gleich 8 ähnlich trockene. Zum Beispiel der aus dem Jahre 1989/90, der bislang auch als der schneeärmste Winter südlich der Alpen gilt (in Graz zum Beispiel bloß 1 (Universität) bzw. 2 Tage (Flughafen) mit Schneedecke). Dass aber gleich mal die ganze Südoststeiermark, teils auch das Südburgenland, so gut wie schneelos bleiben, ist ein Novum.
Einschub: Osttirol
Das schöne Osttirol möchte ich an dieser Stelle gesondert erwähnen; trotz der auch hier eklatanten Wintertrockenheit kaschiert nämlich der niederschlagsreiche November die Schneearmut ein wenig. In Lienz zum Beispiel sind den ganzen Winter über in Summe bloß 2 cm Neuschnee gefallen (Negativrekord), die Stadt kommt allerdings auf 26 Schneedeckentage – ein Verdienst des nassen Novembers, der mit 66 cm Neuschnee ein Monats-Plus von satten 247 % brachte. Anderes Beispiel: St. Jakob im Defereggental kam im November 2019 in Summe gar auf 189 cm Neuschnee (+263 %), der Winter selbst war hingegen mit 74 cm (-55 %) eher mager unterwegs.
Viel Niederschlag und trotzdem kein Schnee
Im übrigen Land kann von Niederschlagsmangel keine Rede sein, von Vorarlberg bis Wien brachte der Winter ausgeglichene Niederschlagssummen. Der Jänner (und damit ein großer Teil des Hochwinters) war zwar generell ein ausgesprochen trockener (und sonniger) Monat, der nasse Februar konnte allerdings einiges wieder aufholen – verantwortlich hierfür eine nicht enden wollende Westwetterlage. Im Zuge dieser hat die Alpennordseite zwar viel Niederschlag abbekommen (in manchen Regionen – Bregenzerwald (V), Außerfern (T), Mühlviertel (OÖ) – wurden gar die nassesten Februartage der jeweiligen Messgeschichte verzeichnet), solche Wetterlagen haben aber einen ganz großen Nachteil: Sie sind eines jeden Winters sicherer Tod. Bei Westlagen kommt die Luftmasse nämlich direkt vom Atlantik, ist damit zwar feucht, aber in der Regel immer mild – für Schnee reichts bei einer solchen meist nur im Hochgebirge. Reutte zum Beispiel im Tiroler Außerfern (Messbeginn 1938) liegt auf rund 800 Meter Seehöhe und hat trotz Tagesniederschlagsrekords am 03.02.2020 (58,8 mm in 24 Stunden – zum Vergleich: so viel Niederschlag fällt in Wien normal nicht im gesamten Februar) keinen einzigen Zentimeter Schnee abbekommen. Im Hochwinter!
Damenbesuch
Dafür war aber gerade der Februar in Sachen Sturm recht eifrig: Anfang des Monats sind gleich zwei Winterstürme übers Land gezogen, gegen Ende zwei weitere. Mit Böen bis 174 km/h auf unseren Bergen und 130 km/h in den Niederungen ist zuerst (um den 4. d. M.) Petra übers Land gefegt, Sabine hat sich eine Woche später (um den 10. d. M.) mehr auf die Grenzregionen zu Deutschland eingeschossen (allen voran aufs Mühlviertel), Yulia (sic!) um den 23. auf den Osten, Bianca zum Monatsende dann neuerlich auf die Grenzregionen. Winterstürme kommen zwar immer wieder vor (speziell wenn der Atlantik mitmischt), in dieser Ausprägung sind sie allerdings selten – statistisch gesehen ist damit etwa alle 10 Jahre zu rechnen. Das letzte Ereignis dieser Größenordnung war Wintersturm Emma (Anfang März 2008) bzw. Paula (Ende Jänner 2008), vielen ist vielleicht auch noch Orkan Kyrill (Jänner 2007) ein Begriff. Der letzte Wintersturm im Februar liegt hingegen schon weiter zurück und datiert aus dem letzten Jahrhundert: Orkan Vivian im Jahre 1990, mit 3 Milliarden Schilling (ja, damals gab es noch eine eigene österreichische Währung, ca. 218 Millionen Euro) einer der teuersten Stürme des 20. Jahrhunderts. Wenig verwunderlich, dass an vielen “jüngeren” Stationen (also jenen, die erst nach Vivian aufgestellt wurden) reihenweise die Februar-Rekorde gefallen sind. Vereinzelt verbuchen aber auch ältere Stationen einen solchen – wie jene am Salzburger Flughafen oder im Mühlviertler Rohrbach.
Die höchsten Windspitzen im Februar 2020 je Bundesland:
Ort | Bundesland | Stärkste Böe | Sturm | Rekord |
Wien – Jubiläumswarte | W | 130 km/h | Petra | Februar-Rekord |
Seibersdorf | NÖ | 121 km/h | Yulia | Februar-Rekord |
Podersdorf | B | 121 km/h | Petra | Stationsrekord |
Rohrbach | OÖ | 125 km/h | Sabine | Stationsrekord |
Salzburg – Flughafen | S | 108 km/h | Sabine | Februar-Rekord |
Innsbruck – Flughafen * | T | 143 km/h | Nordföhn | Winter-Rekord |
Sulzberg | V | 115 km/h | Petra & Bianca | Februar-Rekord |
Mallnitz | K | 96 km/h | Petra | Februar-Rekord |
Aflenz | ST | 106 km/h | Yulia | Februar-Rekord |
* Interessante Info: Innsbruck-Flughafen stellt einen Sonderfall dar, da die Böe von 143 km/h weder Sturmtief Petra, noch Sturmtief Sabine zugeschrieben werden kann. Tatsächlich handelt es sich hierbei um ein seltenes Nordföhn-Ereignis, welches zwischen den Stürmen stattgefunden hat: Unterstützt durch die Orographie ist vom Seefelder Plateau eine Föhnböe genau auf den Innsbrucker Flughafen zugerauscht, hat aber die Stadt selbst nie erreicht; zur gleichen Zeit wurde an der Messstation Innsbruck Universität eine Spitzenböe von lediglich 38 km/h registriert. So spannend kann Wetter sein! Die 143er-Böe am Flughafen Innsbruck ist übrigens die höchste nicht im Zuge von Gewittern aufgetretene Böe, die am Standort je gemessen wurde, der Rekord liegt bei 165 km/h im Juli 2017.
Atlantikpfuscherei
Hat also der Atlantik seine Finger im Spiel, ist ein milder Winter so gut wie immer garantiert (freilich abhängig davon, wie lange er herumpfuscht) – das erklärt, warum auch in der Vergangenheit nicht jeder Winter in Österreich kalt sein konnte, dafür brauchts nämlich das genaue Gegenteil: eine polare oder gar russische Intervention – die Luftmassen müssen also bevorzugt aus Norden oder Osten kommen (wenn dann auch gleichzeitig ein Italientief vorbeischaut, ist das im Flachland überhaupt der Winter-Jackpot schlechthin). Im Zuge des Klimawandels aber ist ein von Westwetterlagen geprägter Winter nicht einfach nur mild, oh nein! Aus “mild” wird “warm”, und wenn dann zwischendurch auch noch der Föhn mitmischt, dann ist der Hauptgrund für den eklatanten Schneemangel schnell gefunden: Die Trockenheit in Teilen des Landes mag da mitspielen, doch ausschlaggebend war die nicht enden wollende Wärme.
Unbeschreiblicher Irrsinn
Alles hat begonnen, mit einem Weihnachtstauwetter der Sonderklasse. Als Meteorologe hat man freilich schon viel erlebt, auch ist Tauwetter zu Weihnachten per se jetzt nix Außergewöhnliches – es gehört zum Klimajahr wie auch die Hundstage im Sommer und ist mit ein Grund, warum das mit den “weißen Weihnachten” immer schon nur selten klappen wollte. Aber was da heuer abgegangen ist, ist fernab einer jeder Vorstellungskraft gewesen: Am 17. Dezember 2019 – eine Woche also vor dem Heiligen Abend – wurden in Feldkirch (V) um 3 Uhr Früh föhnbedingt 20,3 Grad gemessen. Ich wiederhole: 20 Grad. Im Winter. In der Nacht. Da bleibt einem regelrecht die Spucke weg! Das ist IRRSINN!
Nur dem Umstand, dass der Föhn in jener Nacht kurz mal schlafen gegangen ist, ist zu verdanken, dass das offizielle Minimum bei 13,9 Grad zu liegen kam – aber auch das stellt noch immer einen Rekord Extraklasse dar: An keiner österreichischen Messtation war eine Dezembernacht jemals wärmer als am 17.12. in Feldkirch. Never! (Bitte schaut unbedingt in die Tabelle darunter, und vergleicht die bisher höchsten Minima mit den neuen Rekorden – da kommt einem das Weinen …)
Die Nacht auf den 17. Dezember 2019 war (föhnbedingt) die wärmste Dezembernacht der österreichischen Messgeschichte. Hier die herausragendsten Minima:
Ort | Bundesland | Höhe | 17. Dezember 2019 | Bisheriger Rekord |
Feldkirch | V | 438 m | 13,9° | 10,5° (2000) |
Fraxern | V | 807 m | 13,1° | 10,4° (2003) |
Brand | V | 1209 m | 11,4° | 8,0° (2013) |
Kolomansberg | S | 1113 m | 11,7° | 9,6° (2015) |
Sulzberg | V | 1016 m | 11,4° | 7,8° (2015) |
Mittelberg | V | 1204 m | 10,2° | 4,5° (1994) |
Rax | NÖ | 1547 m | 9,2° | 7,3° (2006) |
Rekorde in allen Variationen
Wenn die Nächte schon auf so einem absurd hohen Niveau performen, dann ist leicht vorstellbar, was sich tagsüber abgespielt hat: Zwischen 16. und 20. Dezember 2019 wurden an insgesamt 36 Wetterstationen quer übers Land neue Dezember-Wärmerekorde aufgestellt. Am Flughafen in Salzburg etwa wurde mit 20,1 Grad erstmals im Bundesland Salzburg die 20-Grad-Marke geknackt (der alte Salzburg-Dezember-Rekord stammte aus Hallein mit 19,6 Grad aus dem Jahre 1989), mancherorts wurde der alte Rekord dabei gleich an mehreren Tagen überboten, wie in Kitzbühel (T):
Kitzbühel |
Dezember-Rekord | 17.12.2019 | 19.12.2019 | 20.12.2019 |
15,6° (2000) | 16,2° | 16,6° | 15,8° |
Andernorts bevorzugt in der Nacht, etwa in Altmünster (OÖ):
Altmünster |
Dezember-Rekord | 18.12.2019 | 20.12.2019 | 20.12.2019 |
14,1° (2015) | 16,2° um 00:50 Uhr |
17,4° um 03:00 Uhr |
19,1° um 20:12 Uhr |
Oder aber die bisherigen Dezember-Rekorde wurden regelrecht pulverisiert:
Amstetten | OÖ | 266 m | 15,6° (1957) | 17,0° am 20. d. M. |
Mattighofen | OÖ | 460 m | 14,9° (2015) | 18,0° am 20. d. M. |
Oberndorf / Melk | NÖ | 295 m | 15,2° (2006) | 18,0° am 20. d. M. |
Rottenmann | ST | 707 m | 13,6° (2017) | 16,7° am 17. d. M. |
Söll | T | 697 m | 12,9° (2013) | 16,5° am 20. d. M. |
Damit ich’s erwähnt habe
Dieser Wärme-Irrsinn kurz vor Weihnachten war so gewaltig, dass da andere Temperatur-Rekorde vergleichsweise harmlos erscheinen. Im Raum Graz (ST) feierte man 2019 den Heiligen Abend zum Beispiel so warm wie noch nie (Höchstwert Graz-Straßgang mit 12,2 Grad, alter Rekord Graz-Flughafen mit 10,7 Grad im Jahre 2013), zu Silvester wurden in Niederösterreich, im Burgenland und in der Steiermark mit bis zu 16 Grad ebenfalls Rekordtemperaturen gemessen. Der erste Wintermonat war damit schon mal auf einen unglaublichen Niveau, es geht aber noch weit schlimmer. Nach dem Jahreswechsel nämlich erreichte die Rekordwärme schlussendlich auch die höchsten Regionen unseres Landes.
3 auf 3000
Im hinteren Tiroler Ötztal – in jener Region, in der vor allem in der Seilbahnwirtschaft tätige, profitgeile Ignoranten den Zusammenschluss und die Neuerschließung von bis dato unberührten Gletscherregionen in Betracht gezogen haben (mehr Infos hier) – steht Österreichs höchste Wetterstation, am Brunnenkogel auf exakt 3437 Meter Seehöhe. Man kann sich vorstellen, dass es da oben recht zapfig sein kann, allen voran im Hochwinter. Plusgrade sind hier selten, zumindest bisher: Ganze 3 Mal (!) wurde alleine im Jänner 2020 der bisherige Monatsrekord – der nur knapp über Null Grad gelegen hat – überboten, am 12. Jänner 2020 wurde gar die mit Abstand höchste Wintertemperatur überhaupt verzeichnet (Messbeginn 2003).
Brunnenkogel |
Bisheriger Jänner-Rekord | 09.01.2020 | 12.01.2020 | 15.01.2020 |
0,5° (2011) | 1,5° | 3,0° | 1,6° |
Kaltluft-Selbstproduktion
Das Flachland blieb im Jänner von Temperaturrekorden so gut wie verschont, verantwortlich dafür – so paradox es klingen mag – die praktisch durchgehenden Hochdrucklagen. Anders als auf den Bergen nämlich, wo die Temperatur einzig von der Luftmasse bestimmt wird (ist die Luftmasse warm, ist es auf den Bergen warm, und umgekehrt), spielt in den Niederungen auch die nächtliche Abstrahlung eine wichtige Rolle – je kleiner dabei das abzukühlende Luftvolumen, desto stärker kann es auskühlen. In Alpentälern (geringes Luftvolumen) funktioniert das wunderbar (vor allem wenn auch Schnee liegt) und resultiert häufig in zweistelligen Minusgraden, im Flachland (größeres Luftvolumen) ist dieser Effekt nicht mehr ganz so ausgeprägt, aber doch auch vorhanden und hat im Jänner immerhin für (praktisch) durchgehend frostige Nächte gesorgt.
Winternächte des Grauens
Dass man Frostnächte im Hochwinter extra herausstreichen muss, ist an sich schon traurig genug, doch was der Februar 2020 aufgeführt hat, schlägt nun endgültig einem jeden Fass den Boden aus: In der Nacht auf den 17. Februar wurde am Sonnblick in den Hohen Tauern in Salzburg (Messbeginn 1887) auf 3109 Meter Seehöhe eine Rekordtemperatur von 3,9 Grad gemessen. Im WINTER! Wieder in der NACHT! So warm wird es hier oft nicht mal an TAGEN im SOMMER! Auf der Loferer Alm (S, Messbeginn 1994) auf rund 1600 Meter zur gleichen Zeit 14 Grad, auf der Rax (NÖ, Messbeginn 1995) in 1500 Meter 16 Grad – ja Himmelherrgott, mittlerweile ist man in Winternächten nicht mal mehr auf unseren Bergen vor diesem Wärme-Irrsinn sicher!
Frühsommer im Spätwinter
Dieser Hokuspokus gipfelte dann schlussendlich mit dem Knacken der 20-Grad-Marke am 23. Februar unter anderem in Innsbruck und Eisenstadt – erstaunlicherweise auch dieses Mal in der Nacht (mit dem Durchzug von Sturmtief Yulia) – , womit die zwei Landeshauptstädten ihren Februarrekord nur arschknapp verfehlt haben. Unzählige weitere Orte sind in diesem Februar ihren Spitzenwerten gefährlich nahe gekommen, an 23 österreichischen Wetterstationen wurde selbiger gar geknackt – wie im Jänner schon übrigens auch wieder am Brunnenkogel.
Februar-Rekordwärme auf den Bergen:
Ort | Bundesland | Höhe | Februar 2020 | Alter Rekord |
Brunnenkogel | T | 3437 m | 2,0° (16. d. M.) | 1,3° (2006) |
Sonnblick | S | 3109 m | 3,9° (Nacht auf 17.) | 3,6° (1940) |
Pitztaler Gletscher | T | 2864 m | 7,1° (16. d. M.) | 6,9° (1998) |
Idalpe bei Ischgl | T | 2327 m | 9,1° (16. d. M.) | 9,0° (2016) |
Loferer Alm | S | 1619 m | 13,8° (Nacht auf 17.) | 12,6° (1998) |
Gapfohlalpe | V | 1559 m | 14,0° (16. d. M.) | 13,0° (2019) |
Rax | NÖ | 1547 m | 16,1° (Nacht auf 17.) | 14,8° (2001) |
Schöckl | ST | 1443 m | 14,3° (Nacht auf 17.) | 13,7° (2011) |
Kolomansberg | S | 1113 m | 15,7° (Nacht auf 17.) | 14,4° (2019) |
Kältelosigkeit
Angesichts dieser Unzahl an Wärmerekorden blieb da für Kälte freilich nur wenig bis gar kein Platz – der Winter 2019/20 brachte genau genommen nicht mal eine einzige Kältewelle, oder zumindest -phase. Die “Strenge” eines Winters lässt sich dabei übrigens gut in der Anzahl der sogenannten Eistage beschreiben, also jener Tage, an denen es ganztags frostig bleibt. In allen Landeshauptstädten lassen sich diese mit einer Hand abzählen, nur in Eisenstadt brauchts eine zweite, dafür in Salzburg und Innsbruck keine. Auch auf Österreichs Bergen ist diese Kältelosigkeit teils dramatisch: Am Feuerkogel (OÖ) auf 1618 Meter wurden lediglich 17 Eistage verzeichnet (im Mittel sind es 42, Messbeginn 1930).
Ort | Eistage Winter 2019/20 |
Eistage Klimamittel |
Abweichung |
Wien – Hohe Warte | 2 | 20 | -85 % |
St. Pölten | 2 | 26 | -88 % |
Eisenstadt | 6 | 22 | -73 % |
Linz | 2 | 20 | -80 % |
Salzburg – Freisaal | 0 | 16 | -100 % |
Innsbruck – Universität | 0 | 13 | -100 % |
Bregenz | 1 | 15 | -87 % |
Klagenfurt | 5 | 29 | -83 % |
Graz – Universität | 2 | 17 | -82 % |
Summa summarum
Fassen wir also zusammen: Der Dezember stand im Zeichen des Föhns und bilanziert damit als einer der wärmsten der österreichischen Messgeschichte (Platz 13). Der Jänner brachte durchwegs Hochdruckwetter – damit liegt auch dieser Monat in der Temperatur-Bilanz weit vorne (Platz 31) und nun reiht sich auch noch der Februar dank der nicht enden wollenden Westwetterlage ganz vorne mit ein (Platz 2). Dass da in der Winter-Gesamtbilanz nur eine Spitzenplatzierung herauskommen kann, versteht sich von selbst: Der Winter 2019/20 geht als der zweitwärmste seit 1768 zu Ende und liegt damit nur knapp hinter dem Unwinter aus dem Jahre 2006/07, der zwar auch nicht gerade mit Schneereichtum glänzte, aber zumindest eines nicht war: schneelos in vielen Landesteilen.
2006/07 | 2019/20 | 2015/16 | 2013/14 | |
wärmster Winter | 2-wärmster Winter | 3-wärmster Winter | 4-wärmster Winter | |
Dezember | +2,4° | +2,6° | +4,5° | +2,2° |
Jänner | +4,3° | +2,6° | +1,3° | +2,9° |
Feber | +3,7° | +4,1° | +3,6° | +2,9° |
Winter | +3,5° | +3,1° * | +3,1° | +2,7° |
* Die Platzierung ist bestimmt aufgrund der zweiten Nachkommastelle.
Info: Abweichungen nach Spartacus (ZAMG) zum Klimamittel 1981-2010 in Grad Celsius.
Analogien
Der heurige Winter eröffnet damit ein neues Kapitel in der Klimageschichte, ähnlich dem letzten Sommer: Beide zeigen eindrucksvoll, wie sehr der Klimawandel bereits in Fahrt gekommen ist. Im Juni 2019 sind erstmals 40 Grad in Europa en vogue geworden (siehe: Sommerbilanz 2019), der heurige Winter glänzt mit Wärmerekorden (allen voran in den Nächten) und ausbleibendem Schnee. Bei beiden mag es am Ende nicht gereicht haben, den jeweiligen Rekordhalter vom Thron zu stoßen, dem Winter 2019/20 aber bleibt ein schweres Erbe: Mit ihm hat der Abschied vom weißen Winter begonnen.
PS: Ich kann es nicht oft genug erwähnen, aber ohne die großzügige Unterstützung von Alexander Orlik (ZAMG) wären meine Rückblicke ziemlich datenlos. Ihm gebührt wie immer mein größter Dank. Auch das Korrekturlesen meiner Thomas-Spezis ist nicht selbstverständlich – danke hierfür!
PPS: Der Winter 2019/20 geht auch als einer der sonnigsten zu Ende – großen Anteil daran hatte der Jänner, der trotz der vielen Hochdrucklagen eines nicht oder nur kaum brachte: Hochnebel.
PPS: Andere schreiben Bücher, meine Inhalte sind und bleiben garantiert kostenlos und werbefrei. Mir ist Sensibilisierung wichtiger als Selbstprofilierung, und vor allem: Ich sehe den Klimawandel nicht als Cashcow, sondern als ernstes Problem.
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Deine Berichte lesen sich wie Krimis! Vielen Dank für deinen Einsatz!! Deine Leidenschaft ist richtig ansteckend ;)
Liebe Anna!
Danke für den Vergleich – freut mich sehr, wenn’s gefällt :)
SG Manuel
… und wieder einmal ein spannender Artikel von dir! Vielen Dank!
Vielen Dank dir! :)