Sommer 2020: Das neue Normal

Ein Sommer wie damals?
Lange Zeit war dieser Sommer unspektakulär unterwegs: angenehm temperiert, kaum Hitze, nach dem extrem trockenen Frühjahr auch ausreichend Niederschläge. Zur Halbzeit schien sogar ein Vergleich angemessen: Ein Sommer, wie er früher einmal war! Doch der August machte diese Vorarbeit zunichte; aus einem lange Zeit gewöhnlichen Sommer wurde am Ende wieder einer der wärmsten der österreichischen Messgeschichte. Und war dennoch vielen nicht warm genug – ein Umstand, der Sorge bereitet. Denn ab nächstem Jahr gilt ein Sommer wie heuer bloß noch als mäßiger Durchschnitt; wir laufen Gefahr, den Klimawandel zu bagatellisieren. Ein Rück-, wie auch Ausblick.

Einst ein Frühsommermonat
Beginnen wir im Juni letzten Jahres: Es war ein historisch beispielloses, nicht enden wollendes Extremereignis. Der Juni 2019 zog alle nur erdenklichen Register, um ja als extremster überhaupt in die Geschichte einzugehen – mit Erfolg: nie war es heißer, nie sonniger, noch nie gab es derart wenig Niederschlag wie im Juni 2019 (siehe: Sommerbilanz 2019). Mehr als die Hälfte aller österreichischen Wetterstationen verzeichneten damals Hitzerekorde! Dass da ein Juni wie heuer im Vergleich nur blass aussehen kann, versteht sich hoffentlich von selbst; kaum heiße Tage, weniger Sonne, viel Niederschlag – das genaue Gegenteil quasi. Heerscharen von Meteorologen mussten ausrücken, um den Juni als das zu verteidigen, was er einst war: ein harmloser Frühsommermonat, in dem sich Kaltlufteinbrüche (Stichwort Schafskälte) und erste Sommerphasen die Waage halten. Doch mittlerweile hat so ein Juni ausnahmslos hochsommerlich zu sein – eine mediale Indoktrination, die kaum noch aus den Köpfen vieler zu bekommen ist.

Ort Juni 2020 Mittel 1981-2010 Juni 2019
Wien – Hohe Warte 2 2,5 12 (Rekord)
Eisenstadt 1 2,6 10 (Rekord)
St. Pölten 2 2,2 14 (Rekord)
Linz 1 2,3 11 (Rekord)
Salzburg – Freisaal 1 2,1 12 (Rekord)
Innsbruck – Universität 1 4,0 17 (Österreich-Rekord)
Bregenz 0 0,2 10 (Rekord)
Graz – Universität 1 2,4 11
Klagenfurt 2 2,3 12

Anzahl der heißen Tage in der ersten Sommerhälfte (01. Juni – 15. Juli) im Vergleich (Daten: ZAMG)

Erfreulich wenig
Und wehe, wenn dann auch noch der Juli sich nicht der um sich greifenden Gier nach Hitze beugen will! In der ersten Sommerhälfte (von 01. Juni bis zum 15. Juli) gab es gerade mal 12 Tage, an denen irgendwo im Land die 30-Grad-Marke geknackt wurde. Das ist nicht nur weit unter der Anzahl der lezten Jahre (2019: 30 Tage, 2018: 35 Tage, 2017: 30 Tage), sondern auch deutlich unter den Durchschnitten (siehe rechts) – 2020 brachte gar die wenigsten heißen Tage seit 2004 (damals 8). Für jüngere Generationen definitiv ungewohnt, im Kontext der Vorjahre (und gerade in Zeiten des Klimawandels) aber eine angenehme Abwechslung – möchte man zumindest meinen.

Warm ist nicht genug
Denn wenn einem in einer Tour eingeredet wird, dass es im Sommer durchgehend heiß zu sein hat (und dann freilich auch noch die letzten Jahre als “Beweis” aus der Tasche zaubert), dann kann man als Meteorologe noch so oft darauf hinweisen, dass hierzulande wochenlanges Badewetter – heiß, sonnig, trocken – ein Hirngespinst ist, man steht auf verlorenem Posten; mit einer Wand zu reden, bringt in etwa ähnliche Erfolge. Somit in aller Deutlichkeit: Die Anzahl der heißen Tage mag zu Beginn unterdurchschnittlich gewesen sein, was aber nicht heißen soll, dass es deshalb kalt war! Sowohl Juni als auch Juli liegen in der 254-jährigen Messgeschichte Österreichs jeweils im Spitzenfeld der wärmsten (Juni unter den 40, Juli unter den 45 wärmsten) – doch wen juckts? Warm allein ist offensichtlich längst nicht mehr genug; man muss sich vorstellen: In Zeiten des Klimawandels wird bemängelt, dass es nicht heiß werden will! Wie absurd ist das denn bitte?

Und auch heiß ist nicht genug
Es kommt noch bedenklicher: Weil Hitzewellen lange ausgeblieben sind, ist in der Wahrnehmung vieler der gesamte Sommer scheiße gewesen! Echt jetzt? Wann zum Teufel hat “Hitze” eine solch euphemistische Wandlung durchlaufen? Und mal abgesehen davon: Was Juni und Juli ausgelassen haben, hat der August sowieso wieder mehr als wett gemacht. Kaum ein August war wärmer als der heurige! Er war sogar ähnlich heiß wie jener des Vorjahres und belegt Platz 7 in der Hitparade. Dabei ist dem August ein regelrechtes Kunststück gelungen: Er brachte nicht einfach Hitze, oh nein. Er brachte sie auf subtile Art und Weise.

Schokoladenvergleich
Nämlich genau so, dass es eben kaum auffällt: Nachmittagstemperaturen um 30 Grad, laue Nächte, Anfang des Monats sogar ein kurzer Kaltlufteinbruch – klingt harmlos. Und tatsächlich: Wirklich extrem war der August zu keinem Zeitpunkt (mit Ausnahme eines kurzen Peaks am 21. d. M.), doch wie schon beim Frühsommer liegen zwischen Wirklichkeit (wie denn ein durchschnittlicher August performt) und Vorstellung vieler (wie denn so ein August auszusehen hat) ganze Welten: Die durchschnittlichen August-Höchstwerte pendeln nämlich zwischen 24 Grad in Bregenz und 26 Grad in Wien – also weit unter der Hitze-Marke von 30 Grad. Freilich kann/darf/soll es zwischendurch auch mal heißer sein, aber wie sooft gilt: Die Menge machts! Ein, zwei heiße Tagen tun kaum jemandem weh, wenn es aber praktisch durchgehend um 30 Grad hat (ob dabei 29 Komma irgendwas oder 31 Grad, beides ist weit über dem Durchschnitt), und dann auch noch warme Nächte hinzukommen, muss das Auswirkungen haben. Ist wie bei Schokolade: Eine Tafel zu essen (egal welcher Sorte), tut nichts zur Sache. Täglich eine Tafel, und man wird es irgendwann sehen – unabhängig von der Tafelgröße. Bei der XL-Variante gehts halt schneller.

The trumpets shall sound
Der August bilanziert damit sowohl punkto Durchschnittstemperatur als auch Anzahl der heißen Tage stark überdurchschnittlich – zwar weit entfernt von Rekorden, aber ausreichend, um das Manko seiner Vorgänger auszugleichen. Und ein kurzer aber heftiger Hitzepeak zum Monatsende hat das Schicksal dieses Sommers dann endgültig besiegelt: Am 21. August – also eigentlich schon in der Phase des Spätsommers – ist im Westen Österreichs die 35-Grad-Marke gefallen. Standardmäßig wurden im Vorfeld die medialen Freudenfanfaren geblasen (im österreichischen Rundfunk (!) war gar von “wunderschönem und geilem (sic!) Hochsommer-Comeback” die Rede), ein derartiges Extremereignis so spät im Jahr (ab dem 15. August) ist jedoch außergewöhnlich: Hitzerekord in Innsbruck (T) mit 35,6 Grad – man muss sich vorstellen: Die 35-Grad-Marke wurde zuvor in der gesamten Westhälfte Österreichs (Vorarlberg, Tirol, Salzburg) in der zweiten Augusthälfte erst 21 Mal geknackt! Selbst auf 1500 Meter hatte es 28 Grad – wie in Hintertux im Zillertal (T). Die dritthöchste je aufgezeichnete Temperatur in dieser Höhenlage so spät im Jahr.

Ort August 2020 Mittel 1981-2010 Rekord
Wien – Hohe Warte 27,5° 26,0° 31,5°
Eisenstadt 28,3° 26,1° 30,6°
St. Pölten 26,4° 25,3° 31,5°
Linz 26,9° 24,9° 29,7°
Salzburg – Freisaal 26,1° 24,8° * 29,7°
Innsbruck – Universität 26,7° 25,1° 30,5°
Bregenz 25,7° 23,5° 28,3°
Graz – Universität 27,2° 25,5° 30,7°
Klagenfurt 26,4° 25,6° 31,1°

* Salzburg-Freisaal Mittel 1987-2016

Summa summarum
Wenn nur ein Monat (August) aus der Reihe tanzt, dann können seine Kollegen (Juni und Juli) im Vorfeld noch so sehr unauffällig gewesen sein, normal + normal + sehr warm kann im Ergebnis nicht kalt werden – Milchmädchenrechnung. Und so kommt es, wie es kommen muss: Der Sommer reiht sich in der Gesamtbilanz unter die 20 wärmsten seit 1767 – Platz 14.

2020 2003 2019 2015 2017 2018
Platz 14
wärmster Sommer 2t-wärmster Sommer 3t-wärmster Sommer 4t-wärmster Sommer 5t- wärmster Sommer
Juni +0,4° +4,3° +4,6° +1,3° +3,1° +1,8°
Juli +0,4° +0,9° +1,5° +3,0° +0,9° +1,2°
August +1,7°
+3,5° +1,9° +2,7° +2,0° +2,6°
Gesamt +0,8°
+2,9°
+2,7° +2,4°
+2,0°
+1,9°

Temperaturabweichung (in Grad Celsisus) des Sommers 2020 zum Klimamittel 1981-2010 (Quelle: ZAMG)

Die Anzahl der Blitze seit Messbeginn 1992. Der heurige Sommer war – trotz allen Empfindens – erstaunlich blitzarm (Daten: ALDIS, Grafik: wetterblog.at)

Böse Gewitter?
Jetzt kann man anführen, dass der Sommer zwar warm war, man aber aufgrund des vielen Regens einfach nichts machen konnte – ständig Unwetter, jeden Tag Regen, nie sonnig. Leider aber trifft auch das nur bedingt zu. Dass Gewitter heftig sein und punktuell viel Regen in kurzer Zeit bringen können, liegt in der Natur der Sache und kann lokal zu schweren Probleme führen. Damit ist freilich nicht zu spaßen, wenn jedoch systematisch ein jedes Sommergewitter medial zum Monster-Unwetter hochstilisiert wird, dann ist das billigste Effekthascherei. Tatsache ist: Der Sommer 2020 war ungemein gewitterarm, die Zahlen des österreichischen Blitzortungssystems ALDIS – das einen jeden einzelnen Einschlag im Bundesgebiet detektiert – zeigen dies eindrucksvoll: Seit Messbeginn 1992 wurde heuer die geringste Anzahl an Blitzen verzeichnet!

Der Niederschlagsrekord 1899 führte in Salzburg zu einem katastrphalem Hochwasser – im Bild die über die Ufer getretene Salzach, im Hintegrund die Feste Hohensalzburg (Bild: salzburgwiki.at / CC BY-NC-SA 4.0)

Raindrops are falling on my head
Gleichzeitig aber brachte dieser Sommer sehr wohl herausragende Niederschlagsereignisse mit flächendeckendem Landregen, wie zum Beispiel um den 20. Juni im Osten Österreichs, oder auch Anfang (entlang der Alpennordseite) und Ende August (Vorarlberg, Osttirol, Oberkärnten). Vor allem das Juni-Ereignis war klimatologisch auffällig, mehrere Stationen in Niederösterreich haben in 48 Stunden mehr als den gesamten Monatsniederschlag abbekommen – das ist (speziell in dieser Region) nicht nur selten, es wurden auch Rekorde verzeichnet, wie etwa in Langenlebarn (NÖ) mit 113 mm (alter Rekord: 111 mm in 48 h / Juni 2009), oder Stockerau (NÖ) mit 89 mm (alter Rekord: 84 mm in 48h / Juni 2013). Das Regenereignis in den ersten Augusttagen wiederum brachte Salzburg Stadt zum Beispiel 134 mm in 48 h – eine ordentliche Menge, aber gerade für Salzburg nichts Unbekanntes (Rekord: 246 mm in 48 h / September 1899).

Niederschlagsabweichung des Sommers 2020 (in %) zum langjährigen Mittel 1981-2010 (Quelle: ZAMG).

Wenn, dann gscheit
Diese flächendeckenden Regenfälle  sind auch der Hauptgrund, warum die Niederschlagsbilanz österreichweit deutlich im Plus ist: 18 % mehr als im Mittel bedeutet einen der 30 nassesten Sommer seit Beginn der Messungen 1858. Daraus jedoch zu schließen, dass der Sommer deshalb verregnet war, ist ein Trugschluss, denn die Gesamtanzahl der Regentage, also jener Tage, an denen zumindest 1 mm gefallen ist, entspricht so ziemlich genau dem Klimamittel! Übernormal sind nur jene Tage, die große Niederschlagssummen gebracht haben (> 30 mm) – man kann also sagen: Wenn es gewaschelt hat, dann gleich ordentlich. Etwas aus der Reihe tanzt Graz (wie auch Teile der Südoststeiermark) mit deutlich mehr Regentagen, was am Ende positiv zu sehen ist, denn die seit Ende 2018 anhaltende Trockenheit ist damit endlich vom Tisch (man muss sich vorstellen: von Dezember 2018 waren 14 Monate viel zu trocken, nur 3 Monate brachten ausgeglichene und lediglich 1 Monat überdurchschnittliche Regenmengen).

  Tage mit > 1 mm
Tage mit > 10 mm
Tage mit > 30 mm
Ort 2020 Mittel
2020
Mittel  2020  Mittel
Wien – Hohe Warte 28 26,8 7 7,0 3 0,9
Salzburg – Freisaal 42 44,9 17 19,1 6 3,9
Bregenz 44 40,8 17 18,1 10 * 4,2
Graz – Universität 40 31,8 16 12,4 5 ** 2,6

* Ein Ereignis mit 29,0 mm (11. Juni 2020).  ** Ein Ereignis mit 29,6 mm (03. August 2020).

Der Neusiedler See war im Mai 2020 in den Schlagzeilen, weil er auszutrocknen drohe. Hier ein Online-Artikel des Standard (Quelle: standard.at)

Bekenntnis zum Regenreichtum
Wir sehen: Der Sommer 2020 trägt zu Unrecht einen schlechten Ruf; ihm den Niederschlagsreichtum anzuprangern (an dieser Stelle sei nochmal angemerkt: es gab deshalb nicht mehr Regentage), ist angesichts der teils katastrophalen Niederschlagsdefizite der Vorjahre, aber auch des heurigen trockenen Frühjahres wegen, fast schon frech. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ich kann mich da noch gut an die Diskussionen im Frühling erinnern, als der Neusiedlersee (B) Schlagzeilen machte, weil er auszutrocknen drohe – ja warum zum Henker macht er das wohl? Österreichs größter See wird durch Niederschläge gespeist, bleiben diese aus, geht – no na – der Pegel zurück. Zu glauben, dass sich diese Problematik durch heißes, trockenes Badewetter von selbst löst, ist fast schon naiv – es mutet daher mehr als seltsam an, einen Sommer zu verteufeln, der mal nicht mit Dürre glänzt.

Bregenzer Hitzespiele
Und auch das Jammern über die vermeintlich fehlende Hitze erschließt sich mir nicht ganz. Vor nicht allzulanger Zeit trugen Tage, an denen die 30-Grad-Marke geknackt wurde, noch die Bezeichung “Tropentage” – dieser Begriff alleine zeigt schon, wie selten heiße Tage 1 früher mal waren. In Bregenz (V) zum Beispiel gab es im 20. Jahrhundert (1961-1990) im Durchschnitt 2,7 heiße Tage. Daran hat sich bis 2010 auch kaum was geändert, so waren es im Zeitraum 1971-2000 im Schnitt 3,1, in der Periode 1981-2010 3,8. Und dann kamen die Sommer der letzten Jahre: 2015 waren es 29 heiße Tage, 2016 waren es 8, 2017 gab es 17, 2018 18, 2019 19 heiße Tage. Heuer: 12. In keiner anderen Landeshauptstadt hat die Anzahl an heißen Tagen so dramatisch zugenommen, wie in Bregenz!

Unter allen Landeshauptstädten verzeichnet Bregenz die größte Zunahme an heißen Tagen.

Ominöse Klimamittel
Diese Zunahme von Hitze lässt sich freilich auch quantifizieren – und zwar nicht nur in Bregenz. Doch zuvor eine Erklärung: Wenn wir Meteorologen von “zu warm” oder “zu trocken”, “Durchschnitt” oder “Mittel” sprechen, dann beziehen wir uns immer auf eine Referenz (zumeist eine Periode von 30 Jahren), mit der wir bestimmte Parameter vergleichen. Eine solche Mittelung hat den Vorteil, dass sich Extremereignisse erst dann bemerkbar machen, wenn sie gehäuft auftreten. Plakativ gesagt: Einmal viel Schnee im Winter wirkt sich kaum aus, immer viel Schnee wird irgendwann sichtbar. Bei Hitze verhält es sich ähnlich: Ein heißer Sommer hat kaum Auswirkungen, eine Reihe von heißen Sommern schlägt durch.

Anthropogener Klimawandel mal anders: Hexen. Ein Holzschnitt aus Das buoch der tugend, Johann Vintler, Augsburg 1486 (Quelle: Bayerische Staatsbibliothek)

Dunkles Kapitel
Das aktuell gültige Klimamittel in Österreich ist die Referenzperiode 1981-2010, selbige rückt alle 10 Jahre vor – man passt damit die Klimanormalwerte den herrschenden Bedingungen an. Macht Sinn, würden wir für die heutigen Jahreszeiten eine Periode aus dem 18. Jahrhundert als Referenz heranziehen – was dank der langen Zeitreihen in Österreich ja durchaus machbar wäre -, würden wir sie mit einer aus der kleinen Eiszeit vergleichen; einer Zeit, in der Winter nicht enden wollten und Sommer ausblieben. Wiederkehrende Missernten, Tierseuchen und unbekannte Krankheiten wurden erst einem zürnenden Gott zugeschrieben, in Folge brauchte es reale Sündenböcke: Die Zeit der Hexenverfolgungen begann. Doch so viele “Hexen” auch dran glauben mussten, das Klima ließ sich davon nicht beeindrucken.

Erdäpfel an die Macht!
Neben diesem eher düsteren Kapitel der europäischen Geschichte sorgte die kleine Eiszeit aber auch für große Errungeschaften in Kunst, Kultur, Landwirtschaft und Gesellschaft – um nur einige Beispiele zu nennen: Die extremen Winter des 16. Jahrhunderts inspirierten zu den ersten Landschaftsmalerein im Schnee (ein bis dahin unbekannter Zweig der Kunst), Mary Shelley verfasste eines verregneten Sommers wegen 1816 Frankenstein, zu Weihnachten desselben Jahres ertönte zum ersten Mal der Klassiker Stille Nacht, Heilige Nacht und in Österreich – nicht minder wichtig – begann der Siegeszug einer Knolle, die lange Zeit als Schweinefutter verpönt war: Aufgrund der häufigen Missernten etablierte sich Anfang des 19. Jahrhunderts der Erdapfel als Hauptnahrungsmittel der Armen. Detail am Rande: Die heurige Erdäpfel-Ernte ist dank des niederschlagsreichen (und warmen) Sommers außerordentlich ertragreich! Doch nun genug von der kleinen Eiszeit, zurück zum Sommer 2020.

Pieter Bruegels berühmtes Bild Die Jäger im Schnee (1565), das erste bekannte europäische Großgemälde im Winterkleid. Entstanden nach den extrem kalten Wintern Mitte des 16. Jahrhunderts, hängt es heute im wohl warmen Kunsthistorischen Museum in Wien (Quelle: KHM)

Premiere
Der heurige Sommer war nun der letzte, bevor die Klimanormalwerte wieder angepasst werden; ab nächstem Jahr vergleichen wir eine jede Jahreszeit nun nicht mehr mit der Periode 1981-2010, sondern mit jener aus den Jahren 1991-2020 – alle heißen Sommer der jüngeren Vergangenheit sind darin enthalten, nicht nur jener aus dem Jahre 2003 (einer der größten Naturkatastrophen des europäischen Kontinents), sondern auch die der letzten Jahre, die ja allesamt zu den wärmsten zählen (wie der 2019er mit dem historisch einmaligen Juni). Im Falle der heißen Tage habe ich mir die Mühe gemacht, selbige vorab zu berechnen; das Ergebnis ist gleichermaßen erwartbar wie erschreckend: Die Anzahl an 30-Grad-Tagen, an denen künftig ein “normaler” Sommer gemessen wird, hat österreichweit um ein gutes Drittel zugelegt, in Bregenz hat sie sich gar verdoppelt. Im Vergleich zum 20. Jahrhundert hat sich die Hitze teils (zum Beispiel in Graz) verfünffacht!

Ort Mittel 1961-1990 Mittel 1971-2000 Mittel 1981-2010 Neues Mittel 1991-2020
Wien – Hohe Warte 9,6 11,2 14,8 20,0  + 35%
Eisenstadt 11,4 11,9 15,2 20,1  + 32%
St. Pölten 10,1 10,9 12,9 17,3  + 34%
Linz 5,8 7,9 10,3 15,1  + 46%
Salzburg – Flughafen 5,8 7,7 9,8 12,0  + 22%
Innsbruck – Universität 9,0 10,0 15,3 20,6  + 35%
Bregenz 2,7 3,1 3,8 7,9  + 107%
Graz – Universität 3,4 6,5 11,0 16,7  + 52%
Klagenfurt 6,2 8,6 13,3 17,8  + 34%
Lienz 5,0 5,6 9,8 13,4  + 37%

Heiß und doch normal
Und nun wollen wir den heurigen Sommer in Relation zu den Klimamitteln betrachten. Südlich der Alpennordseite (Lienz bis Graz) sowie in Salzburg entsprach die Anzahl der heißen Tage noch dem aktuell gültigen Mittel 1981-2010. In allen anderen Landeshauptstädten lag die Anzahl jedoch weit darüber und schon im Bereich des neuen Mittels 1991-2020, Bregenz toppt sogar dieses bei Weitem (12 statt künftig 8 heiße Tage). Ein Sommer wie heuer, so überdurchschnittlich er dank des Augusts auch war, ist bereits ab nächstem Jahr ganz offiziell bloß noch mäßiger Durchschnitt. Das erklärt mitunter, warum der Sommer 2020 in der Wahrnehmung vieler so schlecht abschneidet – die Gewohnheit hat hier schon längst obsiegt.

Ort Sommer 2020 Mittel 1981-2010 Neues Mittel 1991-2020
Wien – Hohe Warte 21 14,8 20,0
Eisenstadt 19 15,2 20,1
St. Pölten 17 12,9 17,3
Linz 14 10,3 15,1
Salzburg – Flughafen 9 9,8 12,0
Innsbruck – Universität 22 15,3 20,6
Bregenz 12 3,8 7,9
Graz – Universität 12 11,0 16,7
Klagenfurt 13 13,3 17,8
Lienz 9 9,8 13,4

Kampf dem Wandel!
Allerdings: Ungeachtet dessen, ob sich die zugrunde liegende Vergleichsperiode ändert oder nicht, am Ende bleibt dieser Sommer noch immer einer der wärmsten der Messgeschichte! Ein durchschnittlicher Sommer wird ab sofort jedes Jahr automatisch einer der wärmsten sein; dies gilt es, sich bewusst zu machen und stets im Hinterkopf zu behalten, vor allem dann, wenn das nächste Mal wieder über fehlende Hitze gejammert wird. Machen wir nicht den Fehler und verharmlosen den Klimawandel, denn eines ist sicher: Auch das neue Normal wird bereits in 10 Jahren abgelöst werden …

PS: Ich kann nicht oft genug darauf hinweisen, aber mein größter Dank gebührt Alexander Orlik von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik – Hut ab vor deiner Engelsgeduld mit mir! Ohne seine Hilfe wären meine Rückblicke ziemlich datenlos.
Auch Thomas Kumpfmüller (AustroControl) möchte ich wie immer danken. Er wird seit Jahren genötigt, meine Texte Korrektur zu lesen, und macht dies ohne zu Murren. Auch das keine Selbstverständlichkeit.

1 Häufig wird bei “heißen Tagen” auch von “Hitzetagen” gesprochen, diese Bezeichnung ist allerdings nicht korrekt. Der “heiße Tag” (früher “Tropentag”) ist über die Maximaltemperatur (≥ 30 Grad) definiert, der “Hitzetag” über die Tagesmitteltemperatur (≥ 25 Grad) – ein kleiner, aber feiner Unterschied.

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