Paris: Historisch heiße Luft

Paris ist zu Ende
Von “historisch” bis zu “Ein Sieg für die ganze Welt!” – angesichts der Lobeshymnen, die zum Ende des nunmehr 21. Weltklimagipfels gesungen werden, gewinnt man ja fast den Eindruck, in Paris wurde der Stein der Weisen oder Aladins Wunderlampe gefunden – einmal reiben und wusch, das Problem des Klimawandels ist passee. Doch sehen wir uns mal abseits des ganzen Politker-Blablas an, was im neuen Klimavertrag überhaupt drinsteht. Verdient dieser wirklich den Stempel “historisch”?

COP-2015

Der 21. Weltklimagipfel in Paris – ein Erfolg? (Foto: wetterblog.at)

1,5 oder 2?
Gleich zu Beginn: Auch ich bin etwas überrascht über ein (im ersten Moment winzig erscheinendes) Detail. Am Anfang des neuen Klimavertrages ist folgendes zu lesen (Artikel 2.1.a)1:

Diese Vereinbarung zielt darauf ab […] den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur deutlich unter 2 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu halten und Bemühungen zu verfolgen, den Anstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen […]

Auch wenn dieses ominöse 2 Grad-Ziel an sich nichts Neues ist – die Bekenntnis hierzu ist schon im Jahre 2010 beim 16. Weltklimagifpel in Cancún (Mexiko) gefallen – so ist doch bemerkenswert, dass der Satz weitergeht: “… und den Anstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen”. Na mei, wird sich jetzt der eine oder andere vielleicht denken, ein halbes Grad auf oder ab is a scho wurscht. Und in der Tat, ob’s jetzt im Sommer 30° oder 30,5° hat, tut wirklich nichts zur Sache. Bloß reden wir hier von globalen Durschnittswerten – um einen anschaulichen Vergleich zu liefern: Die globale Durschnittstemperatur lag während der letzten Eiszeit um etwa 5 Grad unter dem vorindustriellen Niveau, unser Planet war nur bedingt lebenswert. Angesichts dessen, glaub ich, ist verständlich, warum hier jedes Zehntel Grad zählt.

Irreführung
Diesen 1,5 Grad-Zusatz verdanken wir wohl den pazifischen Inselstaaten, deren Existenz nämlich schon bei 2 Grad plus auf Messers Schneide steht – sie drohen auf Grund des Meeresspiegelanstiegs sprichwörtlich untergehen. Da bin selbst ich geneigt, diesem “Erfolg” fast das “historische” zuzugestehen, wenn da nicht ein klitzekleines Problemchen wäre: Das Ziel ist nicht nur utopisch, es ist schlicht unerreichbar. Die Staatengemeinschaft führt die Inseln Ozeaniens also gewaltig hinter’s Licht.

kiribati

Der pazifische Inselstaat Kiribati könnte dem Untergang geweiht sein, wenn das 1,5 Grad-Ziel nicht hält (Foto: C.W.Karl / CC BY-ND 2.0, Quelle: flickr)

Nur keine Verbindlichkeiten!
Um das zu verstehen, sehen wir uns an, wie das Paris-Abkommen überhaupt aufgebaut ist. Der Vertrag ist zwar völkerrechtlich bindend (ist ja auch ein internationales Abkommen), aber Rechtsverbindlichkeiten sucht man vergeblich – es gibt im ganzen Papier keine einzige quantifizierte Maßnahme! Stattdessen lebt Paris – anders als Kyoto, dessen Nachfolge das Paris-Abkommen ja sein wird – von nationalen Selbstverpflichtungen, quasi vom Ambitionismus der Nationalstaaten, die aufgefordert sind, eigenständig das für sie bestmöglichste Treibhausgas-Reduktionsziel bis zum Jahre 2018 bekanntzugeben. 158 Staaten sind dieser Forderung schon im Vorfeld nachgekommen und haben ihre Ziele bereits definiert: die EU beispielsweise verspricht eine Reduktion von 40% (bezogen auf 1990) bis zum Jahre 2030, die USA etwa 28% (bezogen auf 2005) bis 2025.

Paris – ein Wunschkonzert?
So weit so gut, bloß: Damit kann das 2 Grad-Ziel nicht mal ansatzweise erreicht werden! Denn auch wenn diese nationalen Reduktionspläne eingehalten werden, sehen Prognosen eine Temperaturerhöhung um 2,7 – 3 Grad bis zum Jahr 2100. Also weit über dem, was im Vertrag als Ziel genannt wird. Wie also haben sich die Herrschaften vorgestellt, die  1,5 Grad zu schaffen, wenn die Selbstverpflichtungen nicht mal für 2 Grad reichen? Das bleibt ein Rätsel, vor allem auch deshalb, weil der im Vertrag vorgesehene Fahrplan jegliche Ambition missen lässt. Artikel 4.1. lautet1:

Um das langfristige Temperaturziel zu erreichen, streben die Vertragsparteien an, die Spitzen der Treibhausgas-Emissionen so rasch wie möglich zu erreichen, anerkennend, dass dies für Entwicklungsländer länger dauert, und danach schnelle Reduktionen in Übereinstimmung mit den besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen zu unternehmen, um in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts ein Gleichgewicht zwischen Quellen und Senken anthropogener Emissionen zu erreichen […]

Also noch schwammiger hätte man den Passus nun wirklich nicht formulieren können. Was soll heißen “so rasch wie möglich” ? Morgen? In 2 Wochen? In 10 Jahren? Und vor allem was soll dieses “um in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts … ” – sind wir da bei einem Wunschkonzert? Es muss doch jedem klar sein, dass es einen Unterschied macht, ob ein Ziel 2051 erreicht wird oder 2099. De facto müssen ab heute (!) die CO2-Emissionen sinken, der Ausstoß der Industrienationen muss bis zum Jahre 2050 auf 0% (NULL!) gesunken sein, möchte man den Entwicklungsländern im Sinne des historischen Kontexts noch eine Chance geben, wirtschaftlich aufzuholen. Und selbst dann ist das 2 Grad-Ziel lediglich mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% zu erreichen2! Doch von all dem ist im neuen Vertrag keine Rede …

Treibhausgase

Die Ausst0ß an Treibhausgasen muss bis 2050 auf Null sinken, wollen wir das 2 Grad-Ziel erreichen. (Foto: APA)

Die Krux mit den Freiwilligkeiten
Bedenkt bitte außerdem, dass diese nationalen Selbstverpflichtungen auf freiwilliger Basis geschehen, und Freiwilligkeit hat in der Vergangenheit selten zu was geführt. Der erste Weltklimavertrag überhaupt, die Klimarahmenkonvention, setzte 1992 auf Freiwilligkeit – und ist gescheitert (zum Nachlesen: Die Klimarahmenkonvention). Aufgrund dieses Scheiterns entstand 1997 das Kyoto-Protokoll, das zwar rechtlich bindend war, aber keinerlei Strafmaßnahmen bei Nichteinhaltung vorsah – blöd, auch gescheitert (zum Nachlesen: Das Kyoto-Protokoll). In Folge gab’s neue Reduktionsziele, einerseits wurde Kyoto bis 2020 verlängert (bloß macht da kaum noch wer mit), andererseits wurden 2010 beim Weltklimaipfel in Cancún neue freiwillige Reduktionen beschlossen – ein Erreichen derselbigen ist auch hier unwahrscheinlich.

Amerikas Wunsch
Da drängt sich also die Frage auf: Warum setzt nun auch Paris auf Freiwilligkeit? Nun, das hat unter anderem Amerika zu verantworten. Da nämlich nun in der Endfassung keine verbindlichen Ziele enthalten sind, hat das Papier eher die Möglichkeit, vom US-Präsidenten ratifiziert zu werden, ohne dass der amerikanischen Senat dies absegnen müsste – ein Vorteil, ist doch dieser fest in republikanischer Hand und Republikaner zählen ja per se zu den Klimaleugnern (wird denen irgendwie in die Wiege gelegt). Das Fehlen von Rechtsverbindlichkeiten hat also einen politischen Hintergrund, der zwar im Kern verständlich ist, in der Praxis allerdings zum Bummerang werden kann: Nationale Ziele können so jederzeit revidiert werden. Zum Beispiel nach Wahlen. Blöd, dass in Amerika nächstes Jahr welche anstehen.

Obama COP-21

Obamas Rede beim Weltklimagipfel am 30. November 2015 (Foto: ConexlónCop / CC BY 2.0, Quelle: flickr)

Wer suchet, der findet
Doch zurück zum Vertrag und zum Artikel 4, auf den ich nochmals näher eingehen möchte. Er beinhaltet nämlich noch einen sensationell gut versteckten Schwachpunkt. Zur Erinnerung1:

Um das lanfristige Temperaturziel zu erreichen, streben die Vertragsparteien an, die Spitzen der Treibhausgas-Emissionen so rasch wie möglich zu erreichen, anerkennend, dass dies für Entwicklungsländer länger dauert, und danach schnelle Reduktionen in Übereinstimmung mit den besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen zu unternehmen, um in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts ein Gleichgewicht zwischen Quellen und Senken anthropogener Emissionen zu erreichen […]

Eigentlich ist es ja fast verwerflich, dass im gesamten Vertrag zwar ständig von anthropogenen (also menschengemachten) Emissionen die Rede ist, die Herrschaften aber zu feig waren, die Ursache reinzuschreiben: Begriffe wie Kohle, Erdöl und Erdgas fallen nicht mal als Fußnote! Bravo Saudi-Arabien, bravo Katar & Co – ein Verdienst der Erdölstaaten, die ja per se überhaupt keinen Grund sehen, da auch nur irgendwas einzusparen. Warum auch, die leben ja davon! Dass diese Länder bald unbewohnbar sein werden ist wurscht. Aber gut, auf was ich eigentlich hinauswill: Es ist nirgends die Rede von Dekarbonisierung, also dem langfristigen Ziel, weg von Kohle & Co, hin zu erneuerbaren Energien. Die Rede ist bloß davon, ein Gleichgewicht herzustellen, zwischen Quellen (= das, was wir ausstoßen) und Senken (= Möglichkeiten, das Ausgestoßene auch wieder aus der Amtmosphäre zu bekommen). Anders ausgedrückt: Wir können weiterhin Kohle verheizen, als gebe es kein Morgen. Solange wir nur dafür sorgen, dass in der Bilanz ein Nuller steht. Wie das funktionieren soll? Da schweigt der Vertrag, aber ein naives Beispiel wäre das Pflanzen von Bäumen!

Pflanz ein Bäumchen …
In der Theorie wäre das auch durchaus logisch. Wir machen weiter wie bisher und setzen pro Tonne CO2 ein Bäumchen. In der Praxis allerdings wird uns bald der Platz ausgehen: Wir müssten jährlich 2,5 Billionen Bäume pflanzen (eine Zahl mit 12 Nullern!), um ein solches Gleichgewicht halten zu können. Kann also nicht funktionieren. Was bleibt übrig? Nun ja, das Zauberwort hieße Geo-Engnieering, mittels dessen das CO2 mit technischen Hilfsmitteln aus der Atmosphäre geholt werden müsste. Aber das kann ja nicht ernsthaft das Ziel dieser Welt sein?! Bei den meisten mir bekannten Möglichkeiten überstiegen die Gefahren dem Nutzen bei Weitem!

Abgesegnet aber nicht in Kraft
Zu guter Letzt möchte ich noch auf das Inkrafttreten des Vertrages an sich eingehen, denn offenbar liegt hier ein großes Missverständnis vor. So verlautet der österreichische Staatsfunk gar, dass der Vertrag mit Jänner 2020 in Kraft tritt, was schlicht Unfug ist. Das Abkommen wurde zwar von allen 196 am Gipfel teilnehmenden Staaten angenommen, aber deshalb ist der Vertrag noch lange nicht rechtsgültig. Artikel 21.1 lautet1:

Dieses Abkommen tritt am dreißigsten Tag nach dem Zeitpunkt, an dem mindestens 55 Vertragsparteien des Übereinkommens, welche insgesamt mindestens 55 Prozent der gesamten weltweiten Treibhausgasemissionen verursachen, diesen Vertrag ratifiziert, akzeptiert, angenommen haben oder ihm beigetreten sind.

Was heißt das jetzt auf Deutsch? Wenn die 10 größten CO2-Emittenten Paris nicht ratifizieren, kann der Vertrag gar nicht in Kraft treten, da diese ja bereits für 75% der Emssionen verantwortlich zeichnen! Und innerhalb dieser 10 Big Player müssen nun alle vor China und den USA katzenbuckeln, denn diese sind ihrerseits wiederum für knapp 43% verantwortlich:

 

Die größten CO2-Emittenten 2014

Prozentualer Anteil der CO2-Emissionen des Jahres 2014. China, USA und Europa zeichnen zusammen für mehr als 50% der Emissionen verantwortlich. (Daten: Global Carbon Project, Aufbereitung: wetterblog.at) ACHTUNG! In dieser Graphik sind nur die CO2-Emissionen berücksichtigt und nicht der Anteil anderer THG (wie Methan). Zählt man diese hinzu, so ändert das nichts an den Top 3, sehr wohl aber beim Rest.

Erinnerungen
Gleiches Spiel hatten wir übrigens schon bei Kyoto, in dem der selbe Passus fast zum Scheitern geführt hat. 1997 wurde der Vertrag zwar angenommen, in Kraft treten konnte dieser aber erst 2005. Hauptgrund: Die USA, die sich bis heute weigert, Kyoto zu ratifizieren – trotz der smybolisch geleisten Unterschrift vom damaligen Vize Clintons, Al Gore! Denn nach Clinton kam bekanntlich wieder die Bush-Dynastie an die Macht, die Unterschrift wurde für nichtig erkärt (wer mehr wissen will: Kyoto: Ein zahloser Tiger).

Summa summarum
Wir haben hier nun also einen Vertrag, der schwammig formuliert ist, der Ziele anstrebt, die jetzt schon entweder unerreichbar (1,5°) bzw. angesichts der fehlenden Verbindlichkeiten utopisch (2°) sind, der Global-Engineering als Möglichkeit in Betracht zieht (auch wenn das Wort als solches nicht fällt), der auf Freiwllligkeit setzt und diese nicht sanktionieren kann (ich darf an Kanada erinnern, die einfach mir nix, dir nix 2011 aus Kyoto ausgestiegen sind – weil sie ihre Ziele nicht erreicht haben), der die Chance nicht wahrgenommen hat, den globalen Ausstieg aus Kohle, Erdöl und Gas zu fordern und dessen Inkrafttreten noch nicht mal fix ist. Dieser Vertrag mag politisch gesehen historisch sein, schließlich hat es vorher noch kein Abkommen gegeben, der alle Staaten der Welt zum Klimaschutz verpflichtet. Das verdient trotz aller Kritik größten Respekt! Inhaltlich aber ist er leider nicht viel mehr als heiße Luft.


Fußnoten:
1 Quelle: Paris Agreement, UNFCCC, 2015 (online verfügbar)
2
Quelle: How Close Are We to the Two Degree Limit?, UNFCCC, 2010 (online verfügbar)

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